Buchkritik: Marlies Mattern – Ein Feld der Ehre

Marlies Mattern: Ein Feld der Ehre
Es ist ein Zufall: Just in dem Moment, wo ich mich mit dem ersten Aufeinandertreffen der Roten Ruhrarmee mit dem Freikorps III. Marinebrigade von Loewenfeld am 26. März 1920 in dem westmünsterländischen Dorf Raesfeld zu beschäftigen begann, erscheint der Kriminalroman Ein Feld der Ehre von Marlies Mattern, dessen Handlung exakt vor dieser historischen Kulisse angesiedelt ist. Ich war gespannt.

Um das Formale gleich vom Tisch zu haben: Das Coverbild des Einbands ist geschmacklos (aber das schrieb ich bereits), der Zeilenabstand im Satz ist zu groß und insgesamt macht das Layout den Eindruck einer Standard-Wörd-Datei. Der Text enthält zu viele Flüchtigkeitsfehler und vom Einband löst sich nach einmaligem Lesen schon die Folienbeschichtung.

Mattern offenbart eine Vorliebe für unvollständige Sätze (mein liebster: „Sogar ganze Sätze.“) (S. 48) sowie eine ausgesprochene Bindestrich-Aversion, wenn sie von „Senegal Negern“ (S. 10), „Kapp Putsch“ (S. 13), „Heim und Herdsprache“ (S. 155) oder „Habacht Stellung“ (S. 190) schreibt.

Auf der Suche nach Froschlaich macht der 13jährige Junge Wilm Klümper eine furchtbare Entdeckung. Im Wald sieht er eine jugendliche Frauenleiche. Geschockt von dieser unerwarteten Begegnung läuft er – ohnehin schon beladen mit allerhand nichtigen aber wirkmächtigen Sünden, die er für die Beobachtung der Metamorphose in Kauf genommen hatte – zurück nach Hause, vorerst ohne jemandem von diesem grauenhaften Anblick zu erzählen. Erst über seinen besten Freund Aloys – der einige Züge des (nebenbei gesagt: sehr interessanten) Fotografen Ignaz Böckenhoff trägt, sickert die Geschichte zum Dorflehrer durch. Zeitgleich erreichen die ersten Ruhrarmisten Raesfeld und versetzen das sonst so beschauliche Dorfleben für einige Tage in einen Ausnahmezustand. Aus Mangel an geeigneterem Personal übernimmt der Dorflehrer die Ermittlungen in diesem Mordfall, denn – soviel steht fest – das Mädchen wurde erschossen.

Während die Dorfbewohner, die zum Teil stark realen Personen nachgezeichnet scheinen, in den Genuß der literarischen Verfremdung kommen, tritt die Rote Ruhrarmee in Person von Gottfried Karrusseit (und in dessen Gepäck ebenso der Leiter des Münsterschen Spitzelbüros Kölpin, Heinz Kölpin, sowie der Zeitungsredakteur Adolf Ende) mit Klarnamen auf. Zu meiner Freude wird der windig-widerliche Spitzel Karrusseit, der an der Spitze der Roten Ruhrarmee im Abschnitt Dorsten stand und mit seinem Handeln die gesamte Bewegung in Verruf brachte und erheblich dazu beitrug, sie zur Tragödie werden zu lassen, als eben das Arschloch eingeführt, das er war. Doch mit dieser fragwürdigen Konstruktion – der Vermischung von fiktiven mit realen Namen – tut sich Mattern keinen Gefallen.

Die promovierte Historikerin kennt ihren Hauptgegenstand – das historische Dorf Raesfeld – ohne Zweifel sehr gut und versteht dieses Milieu zu schildern. Das ist sicher die Stärke ihres Romans. Doch leider schafft sie es nicht, von ihrer eigentlichen Profession Abstand zu nehmen. Sie scheint sich selbst oder ihren Lesern zu mißtrauen, meint sich immer wieder erklären zu müssen und findet so keine literarische Sprache.

Ein Beispiel: der Lehrer wird durch die Anwesenheit der Ruhrarmisten im Dorf und durch die damit verbundene Bedrohung und wegen „der vorsichtig-ängstlichen Atmosphäre, die in der Luft hing“ mit seiner eigener Erinnerung konfrontiert:

Die aus Fenstern und Türen kroch. Unsichtbar. Unhörbar. Aber er konnte sie riechen. Sogar schmecken. Sie roch nach getrocknetem Menschenschweiß im noch klammen Soldatenrock. Sie schmeckte nach angeschimmeltem Brot in verdreckten Händen.

Doch dann unterbricht sie diesen zumindest nicht ganz schlechten literarischen Ansatz, der genügend Hinweise enthält, daß es sich um Kriegserinnerungen handeln muß und erläutert plump:

Beide Wahrnehmungen waren ihm aus der kurzen Zeit an vorderster Front bestens vertraut. Sichtbar und hörbar damit verbunden grässliche Bilder.

Jegliches literarisches Bild ist damit zerstört. Dabei gestaltet sie es in diesem Fall sogar, wenn sie fortfährt:

Ein Tableau von blutigen Fetzen im Stacheldraht. Von Füßen ohne Beine. Noch im Laufen begriffen. Von quellenden Gedärmen, warm und dampfend, aus aufgeschlitzten Pferdeleibern. Eine Symphonie zischender und pfeifender Granaten, mit dem Gewimmer von Verwundeten und dem entsetzlichen, vergeblichen Jammern nach der Mutter, die weltlichen Qualen zu mindern. (S. 214f.)

An anderer Stelle beschreibt sie etwa die Entdeckerfreude des Bauernjungen gänzlich unangemessen als eine, die „jedem Wissenschaftler vertraut ist“ (S. 18) und einem der im Dorf wohnenden Juden legt sie in den Mund:

Ist schon wieder eine neue Partei gegründet worden. In München, in so einem Hofbräuhaus. Liegt in Bayern. Hab ich höchstpersönlich gelesen. In der Zeitung. Deutsche Arbeiter Partei, DAP, vorher. Jetzt heißt`s NSDAP. Fordern Aufhebung des Versailler Vertrags. Verstehen wir alle Herr Rektor, verstehen wir alle. Haben auch gedient. Aber – jetzte kommt`s Herr Rektor – Aberkennung der Staatsbürgerschaft für unsereinen. (S. 175)

Ja, natürlich ist die NSDAP 1920 gegründet worden, vielleicht hat es auch in der Zeitung gestanden, möglicherweise hat es jemand gelesen und sich erschreckt – aber die Art und Weise wie es hier eingeflochten wird ist äußerst konstruiert und zudem für die erzählte Geschichte vollkommen bedeutungslos.

Die literarisch beste Szene des Romans ist zugleich auch die fragwürdigste. Mattern läßt einen fiktiven Ruhrarmisten einen Freikorpsangehörigen erschießen und verwebt dabei drei Perspektiven: die der beiden Jungen Wilm und Aloys, die die Szene beobachten, die des Ruhrarmisten und die des Freikorpssoldaten. (S. 269-276) Fragwürdig vor allem deshalb, weil der Freikorpssoldat den Namen des einzigen tatsächlich „Gefallenen“ des Freikorps bei der Raesfelder Schlacht trägt. Die Fiktion der Szene bekommt so den üblen Beigeschmack von vermeintlicher Wahrheit und ich frage mich, was Mattern mit diesen Namensnennungen bezweckt. Denn die „richtigen“ Namen führen zu nichts, im Gegenteil, sie stehen im Weg.

Mattern versteht es nicht, der Handlung Bedeutung zu geben. Alle ihre Ideen versanden. Der im Roman entwickelte Spannungsbogen entspricht in etwa der Metamorphose des Froschlaichs, der auf den ersten Seiten in ein Einmachglas bugsiert wird, während auf der vorletzten Seite die Kaulquappen sang- und klanglos eingehen. Oder ist das ein Bild für die Trostlosigkeit und Langeweile der Provinz?

Auch der Roten Ruhrarmee hätte es in diesem Roman nicht bedurft. Die Agierenden bleiben blass und lediglich exotische Staffage. Was die Beschreibung der diesbezüglichen Ereignisse im Dorf anbelangt, bedient sie sich (mit der entsprechenden literarischen Freiheit) bei dem Bändchen Drei Tage Bürgerkrieg, welches der Lokalhistoriker Adalbert Friedrich, gestützt auf Zeugenbefragungen, 1978 veröffentlichte1.

Mattern wäre durchaus in der Lage, die bisher nur unzureichend geschriebene Geschichte der Roten Ruhrarmee in Raesfeld als Historikerin zu recherchieren – gerade weil sie die Verhältnisse vor Ort außergewöhnlich gut kennt; warum sie stattdessen einen uninspirierten Kriminalroman geschrieben hat, erschließt sich mir nicht.

Marlies Mattern, Ein Feld der Ehre, agenda Verlag Münster 2011, ISBN 978-3-89688-445-9, 396 Seiten, 19,95 €

  1. Adalbert Friedrich, Drei Tage Bürgerkrieg – Spartakistenkämpfe in Raesfeld, Raesfeld 1978 []

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