Afrikas Böden als Beute

Im Sommer dieses Jahres brachte das britische Topmodel Naomi Campbell den beendeten Bürgerkrieg in Sierra Leone zurück ins Scheinwerferlicht. Vor dem Kriegsverbrechertribunal für Sierra Leone in Den Haag bestätigte die internationale Laufsteggröße, nach einem Abendessen im September 1997 von dem angeklagten liberianischen Kriegsherrn und Ex-Präsidenten Charles Taylor mehrere „schmutzig aussehende Steine“ – ungeschliffene Rohdiamanten – bekommen zu haben. Ende der 1990er Jahre steuerte Charles Taylor den Handel mit sogenannten Konfliktdiamanten und damit den Krieg in dem Nachbarland Liberias. Aber in Sierra Leone geht es nicht mehr nur um seltene Mineralien. Jetzt sind die Ackerböden selbst das Ziel. Mehr lesen

Spekulantenland in Biobauernhand

Vor dem Hintergrund des wachsenden Drucks bundesweit agierender Agrarunternehmen und Kapitalinvestoren im Bereich Grundeigentum stellt die Bauerninitiative „Ökolandbauregion Südliche Uckermark“ (siehe gelbes Kreuz auf  der Karte) ein neuartiges Modell zur Sicherung ihrer ökologisch bewirtschafteten Flächen vor: Ein von der GLS-Bank initiierter und von privaten Anlegern mit Kapital ausgestatteter Fonds hat 2.550 ha ehemals volkseigene Flächen von der bundeseigenen Bodenverwertungs- und -verwaltungsgesellschaft BVVG erworben. Dieser „Bio-Bodenfonds Schorfheide“ verpachtet das Land mit der Maßgabe einer mindestens 18-jährigen ökologischen Weiterbewirtschaftung an die 12 in der Initiative zusammengeschlossenen Betriebe. Mehr lesen

www.mundraub.org

Warum verrottet herrenloses Obst am Baum? Weil Mundraub wenig salonfähig ist. Jedes Jahr verderben herrliche Früchte an zigtausenden von herrenlosen oder vergessenen Obstbäumen an Landstraßen, in verlassenen Gärten oder auf Grundstücken von Menschen mit zu wenig Zeit zum Ernten. Oft handelt es sich dabei um sehr kostbare alte Sorten. Und das in unserer nächsten Umgebung. Einige Leute haben sich deshalb überlegt, wie diese kostbaren Ressourcen einer Nutzung zuzuführen wären. Die Initiative mundraub.org bietet eine Plattform, wilde oder herrenlose Obstbäume zum Abernten in der MundraubMap zu taggen, um sie anderen Menschen ins Bewusstsein zu bringen. Gratis, als Geschenk der Tagger_innen und als Geschenk der Natur.

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Berlin-Kreuzberg: Stadtspaziergang für Freundinnen und Freunde der Solidarökonomie

Von der Imbissstube über Fränchriseunternehmen an städtischer Bäckerkultur vorbei bis zu Biolebensmitteln. Ein Spaziergang durch Kreuzberg über Ernährung, Marktpolitik, Arbeitsverhältnisse und Alternativansätzen. Nach dem im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Frisch serviert vom Krisenherd“ ein kleiner Spaziergang durch Kreuzberg ausgearbeitet und „abgelaufen“ wurde, gibt es nun die sommerliche Wiederholung. Der Spaziergang ist mit ca. 2 Stunden und etwa 3,5 km Strecke eher entspannt.

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Veranstaltungsreihe „Frisch serviert vom Krisenherd: Über Agrarpolitik von Oben und Widerstand von Unten – Viva La Via Campesina!“

Frisch serviert vom KrisenherdLaut FAO gibt es heute über eine Milliarde Hungernde. Im Namen von ´Wachstum und Fortschritt´ werden immer mehr Menschen von ihrem Land vertrieben und ihre Lebensgrundlagen zerstört. Ernährung, Landwirtschaft und Agrarpolitik stehen im Zentrum unzähliger globaler Krisenherde. Betroffen ist vor allem der globale Süden, aber auch im globalen Norden mehren sich die Konflikte. An vielen Orten formiert sich zunehmend Widerstand, werden Alternativen entwickelt und praktiziert. Eine treibende Kraft darin ist das weltweite bäuerliche Netzwerk `La Via Campesina´. Mehr lesen

Konzentration im Saatgutgeschäft

agDie kommerzielle Saatgut-Industrie hat in den vergangenen 40 Jahren einen dramatischen Wandel vollzogen. Transnationale Konzerne haben den Geschäftsbereich erobert und Wettbewerber aufgekauft oder mit ihnen fusioniert. Diese Entwicklung verändert die Bedingungen, unter denen nachhaltige Landwirtschaft betrieben werden kann: Abstammungslinien gehen verloren, die Sorge um die Saatgutqualität tritt in den Hintergrund. Um die gegenwärtige Struktur dieses industriellen Sektors besser überblicken zu können, werden hier die Eigentumsverschiebungen in den Jahren von 1996 bis 2008 in statistischen Grafiken aufgetragen. Seit der Markteinführung genmanipulierten Saatgutes Mitte der 1990er Jahre dominieren Monsanto, DuPont und Syngenta weltweit das Geschäft mit dem Saatgut. Mehr lesen (in englischer Sprache)

„Gemeingüter sind Räume, in denen wir frei sind.“

7dc83f73a7Auf den ersten Blick haben Wasser und Wissen, Erbgut und Atmosphäre nichts gemeinsam. Was sie aber eint, ist, dass sie zum Nötigsten für ein menschliches Leben gehören. Doch sie gehen der Gesellschaft immer mehr verloren, weil sie privatisiert und der allgemeinen Verfügung entzogen, missbraucht oder unbezahlbar werden. Die Welt gehört nicht mehr allen, sie wird eingezäunt und kommerzialisiert – zu unserem Schaden. Davon zeugen die weltweiten Konflikte über die Trinkwasserversorgung, den Zugang zu neuen Technologien oder den Umgang mit Regenwäldern. Wir stehen an einem Scheidepunkt, an dem ein neuer Blick auf unsere gemeinsamen Besitztümer erforderlich ist. Das Buch von Silke Helfrich, Heinrich-Böll-Stiftung, mit dem Titel „Wem gehört die Welt? Zur Wiederentdeckung der Gemeingüter“ will diesen neuen Blick ermöglichen. Es zeigt die Vielfalt unserer Gemeingüter – und welch’ ungeheures Potenzial in ihnen steckt. Es macht uns vertraut mit Dingen wie Creative Commons, Slow Food und der Wissensallmende. Und es skizziert durch praktische Beispiele den Weg, wie Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und Demokratie durch Gemeingüter auf Dauer erhalten oder erreicht werden können.

Neue Broschüre: Wem gehört das Meer?

Aus dem BUKO-Newsletter:

Früher einmal war es ganz einfach. 1493 zog Papst Alexander VI. einen Strich auf der Weltkarte und teilte das Meer damit zwischen Spanien und Portugal auf. Aber schon bald war die Frage, wem die Ressourcen des Meeres und die Handelswege gehören, heiß umkämpft. Heute ist das Meer zu großen Teilen Gemeingut – eine ganz ungewöhnliche Ausnahme von der Privatisierung und Nationalisierung der Erdkugel. Es ist das größte „common“, und natürlich wird auch hier darum gekämpft, wer welche Teile für seine nationale oder privatwirtschaftliche Nutzung beanspruchen darf.

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Zeitschrift „CONTRASTE“ entdeckt Commons wieder

»Commons« wurden historisch mit »Allmende« übersetzt und diese Übersetzung trug dazu bei, dass sich bei uns kaum noch jemand für das Schicksal der mittelalterlichen Viehweiden – und anderer Gemeingüter interessierte. Dass im Kapitalismus privater Reichtum mit öffentlicher Armut zusammen passt, war auch klar. Tatsächlich scheinen die verschmutzten Züge des öffentlichen Nahverkehrs und die liebevoll geputzten Privatautos die „Tragödie der Commons“ zu bestätigen: »Wat nix kost, is nix«. Auch jeder, der unter kapitalistischen Rahmenbedingungen ein bisschen Selbstorganisation versucht, kann Beispiele für kleine und große Gemeingüter-Tragödien erzählen. »Wat nix kost« wurde jedenfalls zur ebenso schlichten wie grobschlächtigen Definition von Gemeingütern. Was keinem privat gehört, gehört niemandem – und: was niemandem gehört wird von keinem gepflegt.
Dagegen betont die aktuelle commons-Debatte, dass die »Tragik der Allmende« nur dann gelte, wenn die gemeinsame Nutzung der Ressourcen keinen Regeln unterworfen ist. Aber commons (Gemeingüter) sind kein Niemandsland. Sie gehorchen durchaus Regeln, die nur anders sind als bei Markt und Staat. Mehr lesen

Wem gehört der Fisch

Fischen jetzt wieder mit Erfolgsaussichten für Küstenbewohner in OstafrikaWem gehört der Fisch? Den Küstenbewohner_innen vielleicht, für die er oft die einzige nennenswerte und zugängliche Eiweißquelle bildet? Oder den Fischerei-Konzernen, die den Fisch dort fangen, wo er am billigsten zu kriegen ist und dort verschachern, wo am meisten dafür gezahlt wird? Die Tatsache, dass diese Frage nicht politisch geklärt wird, sondern die Machtlosigkeit der Küstenbewohner von den internationalen kapitalistischen Fischfangflotten bis zur Ausrottung der lokalen Bestände ausgenutzt wird, war u.a. ein Grund für das Aufkommen der Küstenpiraterie vor Ostafrika. Offensichtlich kein ungeeignetes Mittel: Laut Angaben des Fischereiverbandes der kenianischen Küstenstadt Malindi waren im vergangenen Jahr die Fänge besser als in den Jahren zuvor. Athan Seif, der Vorsitzende des Verbandes, führt dies darauf zurück, dass sich ausländische Fischkutter wegen der Piratengefahr nicht mehr in küstennahe Gewässer wagen. Es ließe sich zuspitzen: Die Bundeswehr ist nur vorgeblich wegen der Terrorgefahr vor der ostafrikanischen Küste, stattdessen geht es vielmehr darum, dort wieder profitable Verhältnisse für die Fischereikonzerne durchzusetzen. Mehr lesen

Open Cola und Cube Cola

Cube Cola PosterDas Prinzip Open Source hat auch Cola aus den Fängen des Großkapitals befreit. Per reverse ingeneering wurde das Rezept rekonstruiert, als Open Cola unter der GPL veröffentlicht und seitdem in global vernetzter freier Kooperation optimiert. Eine dieser Optimierungsformen bildet Cube Cola: Neben der Arbeit am Rezept stellt eine Künstlergruppe aus dem „Cube“ in Bristol „Infomaterialien“ wie Poster und Handtücher mit dem Rezept her, sowie ein Handbuch und ein Set mit den für die Herstellung notwendigen Werkzeugen. Vertrieben wird die freie Cola per Feral Trade Courier, der nicht-kommerziellen Zustellung auf den Routen sowieso stattfindender Begegnungen in sozialen Netzwerken.

Buch: Wem gehoert das Wasser (Lars Mueller, Schweiz)…

…mit einem Plädoyer: „Das Wasser gehört allen!“ und einer sehr schönen Buch-Promo-Homepage: http://www.wem-gehoert-das-wasser.com/

Aus der Ankündigung: «Die Knappheit an frischem, sauberem Wasser», so heisst es in einem Bericht der Vereinten Nationen, «ist die grösste Gefährdung, der die Menschheit je ausgesetzt war.» Nur dank dem Wasser und vielen seiner rätselhaften Eigenschaften wird das Leben auf der Erde erst möglich. Ohne Wasser gäbe es keine Nahrung, keine Kleidung, es gäbe noch nicht mal die Tinte, mit der die Bill of Rights geschrieben worden ist. Wem gehört das Wasser? erörtert das Phänomen Wasser, staunt über seine Einzigartigkeit und setzt sich mit den Gefahren und den Chancen des Wassers für das Leben auseinander. Das Buch diskutiert die wichtigsten Fragen zur Trinkwasserversorgung und Nahrungsmittelproduktion, verhandelt Wasser aber auch als zerstörerische Kraft und erforscht die chemischen Eigenschaften des Moleküls. Wem gehört das Wasser? weist auf die Risiken einer ungehemmten Privatisierung des Wassers hin und dokumentiert, wie die Abhängigkeit vom Wasser politisch ausgenutzt wird. Engagierte Bildfolgen und ausführliche Texte erläutern, wieso das Wasser niemandem gehören kann, sondern der Verantwortung und Wertschätzung der gesamten Menschheit untersteht.

Herausgeber: EAWAG (eidgenössische Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz) und Lars Müller

Link direkt zum Katalog:
http://www.lars-mueller-publishers.com/d/katalog/ausgaben/set.php

Privatisierungsfolgen in Neuseeland

Helen Clark, Premierministerin von Neuseeland, im Interview mit der NZZ:
«Wir brauchen einen starken Staat»
http://www.nzzfolio.ch/www/d80bd71b-b264-4db4-afd0-277884b93470/showarticle/519837ca-e9c2-4c20-918c-31ac11ad8045.aspx
kurzer Ausschnitt zum Thema Privatisierung und ihre Folgen:
Frage: Neuseeland hat damals im großen Stil Staatseigentum verkauft. Das war also keine gute Idee?
Helen Clark: Das waren oft Desaster! Zum Beispiel die Privatisierung der Eisenbahn und auch der Fluggesellschaft. Wir mussten beide in den letzten fünf Jahren zurückkaufen, sonst hätte Neuseeland weder das eine noch das andere. In der Telekommunikation wurde aus dem Staatsmonopol ein Privatmonopol, das Mitbewerbern den Zugang verwehren konnte.
(gefunden bei http://www.nachdenkseiten.de/?p=1983 )

Das vollstaendige Interview der NZZ:

Privatisierung – NZZ Folio 09/06
«Wir brauchen einen starken Staat»

Seit die Sozialdemokratin Helen Clark Neuseeland regiert, hat sie die Privatisierung behutsam zurückgedreht. Und das Land kann erstaunlich gute Wirtschaftsdaten vorweisen. Trotzdem oder deswegen? Von Anja Jardine

Frau Premierministerin, Neuseelands Wirtschaft floriert, es gibt kaum Arbeitslose. Verdanken Sie das den «Rogernomics» – den radikalen Wirtschaftsreformen der 1980er Jahre, benannt nach dem damaligen Finanzminister Roger Douglas?

Das glaube ich nicht. Die Deregulierung erfolgte vor zwanzig Jahren, danach sind wir jahrelang furchtbar gestrauchelt. Und ich bin überzeugt, dass die Rogernomics deshalb nicht funktioniert haben, weil es für den Staat keine angemessene Rolle gab, denn es bedarf in der Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts unbedingt einer Führungsrolle des Staates. Seit ich im Amt bin, versuche ich, die für Neuseeland herauszuarbeiten.

Worin besteht die Rolle?

Wir sind ein kleines Land, wir müssen als «Neuseeland Incorporated» arbeiten, wir müssen unsere Politik eng auf unsere Wirtschaft ausrichten – ihre Potentiale identifizieren, gezielt forschen und entwickeln, sicherstellen, dass genug Risikokapital zur Verfügung steht. Die Privatwirtschaft reisst sich nicht drum, Ideen zu finanzieren, die sich noch nicht bewiesen haben. Sowenig wie sie freiwillig Grundversorgung gewährleistet oder in Infrastruktur investiert. Das hat uns die Erfahrung gelehrt.

Neuseeland hat damals im grossen Stil Staatseigentum verkauft. Das war also keine gute Idee?

Das waren oft Desaster! Zum Beispiel die Privatisierung der Eisenbahn und auch der Fluggesellschaft. Wir mussten beide in den letzten fünf Jahren zurückkaufen, sonst hätte Neuseeland weder das eine noch das andere. In der Telekommunikation wurde aus dem Staatsmonopol ein Privatmonopol, das Mitbewerbern den Zugang verwehren konnte. Es mangelt in diesem Bereich noch heute an Wettbewerb und Angebot. Wir haben grosse Mühe, das zu korrigieren. Zum Beispiel versuchen wir gerade, im Bereich der Breitbandtechnologien das Gefüge aufzubrechen.

Warum gab es beim Verkauf keine Auflagen, die Grundversorgung und Wettbewerb sicherstellten?

Wir waren mit die ersten weltweit, die deregulierten. Das Pendel schwang von einer Art westlichem Albanien, das wir waren, zu einem Zustand ohne jede Regeln. Die privaten Energiekonzerne zum Beispiel haben über Jahre hinweg nur den Profit abgezogen und weder in Instandhaltung noch Erneuerung des Netzes investiert.

Was unter anderem dazu führte, dass 1998 für 66 Tage weite Teile Aucklands ohne Strom waren.

Ja. Ähnlich erfolglos war der Verkauf der Banken: der Postbank und auch der Bank of New Zealand. Es gibt heute keine neuseeländische Bank von Rang mehr, die meisten sind in australischer Hand. Und weil diese Grossbanken kein Interesse am kleinen Mann haben, konnte man in manchen Städten jahrelang kein Konto mehr eröffnen. Die Regierung musste auch da einspringen und hat in den Postfilialen eine Bank eingerichtet.

Hätte Neuseeland 1984 die Möglichkeit gehabt, die Reformen behutsamer durchzuführen?

Fest steht: Wir konnten nicht weitermachen wie bisher. Aber es hätte besser geplant sein müssen, von entsprechenden Massnahmen begleitet. So gibt es in Neuseeland zum Beispiel Potential für Nischenproduktion, doch dazu bedarf es hochqualifizierter Arbeiter und Innovation. Das hätte man parallel initiieren müssen. Vor allem hätten die Menschen wissen müssen, was auf sie zukommt. Die haben die Reformen nie gewählt. Auf diese Weise verliert man die demokratische Legitimation. Wir mussten das Wahlrecht ändern – vom britischen Modell zum deutschen Verhältniswahlrecht, das kleinen Parteien den Zugang erleichtert. Die Menschen haben uns nicht mehr vertraut.

Wie waren Sie persönlich in die Reformen involviert?

Ich war im Parlament, und ich war zweifelsfrei nicht einverstanden mit dem, was da geschah. Und als ich 1987 dann Ministerin für Wohnungsbau und Gesundheit wurde, musste ich mich mit den sozialen Konsequenzen der Reformen auseinandersetzen, und die waren enorm. Wenn man ein System mit freier Ausbildung und freiem Gesundheitswesen abschafft, bewegt man sich als Nation rückwärts.

Aber es gab keine nennenswerte Opposition. Die National-Partei machte weiter, wo Labour aufgehört hatte.

Moment, die Labour-Regierung hat in der ersten Reformrunde die Wirtschafts- und Finanzmärkte dereguliert, aber wir haben weder das soziale Netz gekappt noch den Arbeitsmarkt angefasst. Das hat die National Party getan, als sie 1990 an die Macht kam. Die haben Renten und Sozialleistungen gekürzt, Gebühren für Krankenhäuser und Universitäten eingeführt sowie die Gewerkschaften entmachtet. Es kam zu Massenentlassungen. Da ging es erst richtig abwärts.

Aber es war die Labour-Partei, die den Bauern über Nacht die Subventionen gestrichen hat.

Das war richtig. Wir mussten die Subventionen los werden – dauerhafte Bezuschussung der Produktion ist grundsätzlich falsch –, aber es geschah zu schnell, zu hart, zu radikal. Viele Farmer sahen ihr Lebenswerk zerstört. Mein Vater, ebenfalls Bauer, nahm Antidepressiva.

Wer die Krise durchgestanden hat, scheint heute sehr robust zu sein. Ist das so?

Ja, Sie finden keinen einzigen Bauern im Land, der zu den alten Zuständen zurückwill. Unsere Farmen sind hochproduktiv, und der abgelegenste Hochlandbauer hat ein ausgeprägtes unternehmerisches Bewusstsein. Aber es geht nicht nur um Milch, Fleisch, Wolle und Holz, sondern zum Beispiel auch um Biotechnologie. Wir haben vor Jahren eine Taskforce mit Leuten aus Industrie und Regierung eingerichtet, um auf diesem Feld eine klare Strategie zu entwickeln. Die Herausforderung besteht für uns darin, Mehrwert zu schaffen: Functional Food, Nahrungsergänzungsstoffe. Das müssen wir fördern, fördern, fördern.

Weit über 90 Prozent der rund 13 000 Milchbauern haben sich zu einer Grosskooperative zusammengeschlossen: Fonterra. Das sieht nach Sozialismus aus.

Wenn neuseeländische Milchproduzenten anfangen, sich gegenseitig zu unterbieten, haben sie auf dem Weltmarkt keine Chance; wir müssen nach aussen hin gemeinsam auftreten; unsere mittelgrossen Molkereien wären andernfalls längt von Nestlé oder sonstwem geschluckt worden. Deswegen haben wir dem Zusammenschluss eine Sondererlaubnis erteilt. Die Mitgliedschaft ist für die Bauern freiwillig, es gibt drei weitere kleinere Milchkooperativen, so dass im Inland durchaus Wettbewerb herrscht. Kooperativen spielten in Neuseeland schon immer eine grosse Rolle. Auch Obstbauern tun sich für Marketing und Vertrieb zusammen – die Kiwis unter Zespri, die Äpfel unter Enza.

Es ist also legitim, wenn ein Staat seine Industrien vor den rauhen Winden der Weltwirtschaft zu schützen versucht? Tut Europa mit seinen Subventionen für die Landwirtschaft nicht genau das?

Der Unterschied ist der, dass wir die Landwirtschaft als Industrie betrachten, während sie in Europa eher als Naturpflege gesehen wird. In Anbetracht der Grössenordnung der Landwirtschaft in Europa ist das absurd. Länder wie die Schweiz sollten unterscheiden zwischen der Unterstützung ländlichen Lebens einerseits und der Landwirtschaft als Industrie andererseits, denn so wie es nun läuft, profitieren grosse Agrarbetriebe am meisten von den Subventionen. Und das ist unfair gegen alle anderen.

Wie steht es mit dem Recht eines Staates auf Selbstversorgung?

Das ist altes Denken – allerdings auch in der Psyche der Briten tief verankert. Aber wir müssen den Mechanismen im neuen Europa vertrauen.

Subventionen gehören also gestrichen. Welche weiteren Lehren haben Sie aus den Rogernomics gezogen?

Nicht Privatisierung ist das zentrale Thema, vielmehr geht es darum, Staatsunternehmen so zu organisieren, dass sie nicht nach politischen Kriterien geführt werden, sondern nach unternehmerischen. Neuseeland hat nie Fabriken nach sowjetischem Muster besessen, sondern bei uns ging es um Infrastruktur. Die Eisenbahn gehört zur Grundausstattung, sie ist ein natürliches Monopol. Auch die Airline hätte nicht privatisiert werden sollen, es ist schwer, mit einer Fluggesellschaft Geld zu verdienen. Aber wir vermarkten Neuseeland durch Air New Zealand, deswegen brauchen wir eine Fluggesellschaft, um im Tourismus Geld zu verdienen.

Welche Rolle spielt die nationale Identität in einer globalisierten Wirtschaft?

Wenn wir als Regierung die Kultur nicht fördern, enden wir als Vorstadt von Los Angeles, Sydney oder Frankfurt. Aber wir haben unsere eigenen Geschichten zu erzählen. Europäischer Lebensstil in Neuseeland ist anders als in Europa, Maori gibt es nur hier.

Offensichtlich bedarf es immer wieder der Ermutigung, des Appells an dieses Nationalbewusstsein?

Jemand muss dafür Sorge tragen, dafür Raum schaffen, und dabei geht es letztlich auch um Geld. Warum werden in Neuseeland in letzter Zeit so viele interessante Filme gedreht? Weil wir dafür bezahlen! Wir haben einen Fonds eingerichtet, der Drehbuchautoren und Filmemacher anlockt. Das Gleiche gilt für Musik. Wir stellen sicher, dass neuseeländische Kultur präsent ist. Wenn wir unsere eigene Kultur in Mode, Musik und Kunst zum Ausdruck bringen, gibt das den Menschen Sicherheit.

Fördern Sie die Kultur auch aus ökonomischen Gründen?

Ganz gewiss, denn ikonische Industrien wie Film haben einen Multiplikatoreffekt, der das Image eines Landes prägt, wovon wiederum Tourismus und Handel profitieren. Wir versuchen hier eine ganzheitliche Marke aufzubauen.

Nach den Reformen stand es schlecht um das gesellschaftliche Wohlbefinden. Das soziale Klima war rauh.

Das stimmt, es gab eine latente Aggression, und solche Spannungen in der Gesellschaft darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Schauen Sie nur, was in Frankreich passiert: zehn Prozent Arbeitslosigkeit, konzentriert in Ghettos, da brennen die Städte. Und wenn Sie sich die Geschichte Deutschlands vor Augen führen, so war es in Zeiten von Armut und Arbeitslosigkeit in der Weimarer Republik, als Hitlers Stunde kam. Ein soziales Gefüge sollte sehr behutsam restrukturiert werden. So gesehen hatten wir in Neuseeland damals erstaunlich wenig Krawall.

Aber eine sehr hohe Jugendselbstmordrate.

Ich bin überzeugt, dass das mit der hohen Jugendarbeitslosigkeit zu tun hatte. Junge sahen keine Zukunft. Seit sie wieder Hoffnung haben, ist die Rate zurückgegangen.

Ihre Politik stand von Anfang an unter dem Slogan «Closing the Gap» (Schliessen der Kluft).

Es ging sowohl um die Kluft zwischen Maori und weissen Neuseeländern als auch zwischen Arm und Reich. Was die Angleichung der Einkommen anbelangt, so müssen wir zusehen, dass unsere besten Leute im Land bleiben, aber auch im untersten Segment Jobs erhalten. Ein Instrument, trotz den Differenzen soziale Sicherheit zu gewährleisten, sind Steuererleichterungen für geringe Einkommen, Investitionen in Gesundheit und Ausbildung, Pensionen. Wir sind Sozialdemokraten, wir wollen keine Bettler auf der Strasse. Schauen Sie sich in Neuseeland um, Sie werden keine finden.

Anja Jardine ist NZZ-Folio-Redaktorin.