„Elite-Bonds“, Normalitätsklassen und Demokratie auf Ramschniveau

Wichtiger als das Wissens, welches von der Macht instrumentalisiert wird, ist in der gegenwärtigen Krise der Eurozone (des Kapitalismus) wohl normalisierendes Wissen. An Foucault anknüpfend, beschreibt Jürgen Link das historisch jeweils durchgesetzte Normale als einen „eng vernetzten Komplex aus diskursiven Konzepten und Modellen wie praktischen Verfahren“ (Link 2006: 20). Es umfasst verschiedene, wissenschaftliche wie praktisch gesellschaftliche Verfahren der Normalisierung, des Normal-Machens, der Produktion und Reproduktion des Normalen. Sie sind „von größter Bedeutung für moderne Gesellschaften westlichen Typs“ (ebd.). Link fasst sie im Begriff „Normalismus“ zusammen.

In einem aktuellen Kommentar hat Jürgen Link nun normalismustheoretische Überlegungen in Bezug auf die aktuelle Diskussion um die sog. „Elite-Bonds“ angestellt. Er schreibt:

Die “Elite-Bonds” (oder “Triple-A-Bonds”) sind gegen Barrosos Euro-Bonds gerichtet. Sie stellen nichts anderes dar als die offizielle Spaltung der Eurozone in zwei (oder drei) Normalitätsklassen: Erste Klasse gleich “Elite” – Italien gleich 2. Klasse, Griechenland gleich 3. (Ramsch-)Klasse.

Normalitätsklassen sind Länder bzw. Zonen mit verschiedenen Standards an Normalität (von der 1. Klasse aus gesehen). Insgesamt gibt es 5 Klassen (erläutert im Rahmen der Normalismustheorie). Mediopolitisch wird das mit Fußballligen verglichen: Deutschland spielt in der 1. Liga, Italien steigt ab in die 2. Liga, Griechenland schon in die 3. Das hat erhebliche Konsequenzen: Zur 3. Liga gehören z.B. kaum noch soziale Netze (im Sinne von Sicherungssystemen). Dort wird auch die Demokratie auf Ramsch runtergestuft, also eine “sanfte” Notstandsdiktatur von EU-Bürokraten errichtet. All das heißt für die 3. Klasse: Schluss mit “über die Verhältnisse leben”. Diese “Verhältnisse” sind eben ein anderer Begriff für die Normalitätsklassen. Und der Kern davon wiederum ist die berühmte “Wettbewerbsfähigkeit”, also Kapitalstärke.

Der ganze Kommentar ist hier nachzulesen.

Zum Thema Notstandsdiktatur muss aus meiner Sicht ergänzt werden, dass diese eben nicht nur in der „dritten Liga“ errichtet wird, sondern in der gesamten Eurozone. Heribert Prantl hat darauf heute in der heutigen (Offline-)Ausgabe der SZ hingewiesen: Setzte die in den 1960er und 1970er Jahren in den BRD massiv umkämpfte Notstandsgesetzgebung immerhin noch ein Gremium von 42 Personen ein, sind es im Zuge des aktuellen Notstands im Euroraum nur noch neun Personen. Demokratie auf Ramschniveu trifft es also auch hier.

Lit.:

Link, Jürgen. 2006. Versuch über den Normalismus. Wie Normalität produziert wird. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

 

Hinterlasse eine Antwort