Veranstaltungsreihe "Ent-Prekarisierung"

Gut zum Programm De-Privatisierung passt die Ent-Prekarisierung – soziale Sicherheit als öffentliches Gut und die notwendigen Kämpfe dafür. Eine Veranstaltungsreihe dazu von fels (für eine linke Strömung), Berlin, http://www.nadir.org/nadir/initiativ/fels/de/2007/03/352.shtml

* Politik der Entprekarisierung *
21.März | 18:30 | Humboldt Universität (Audimax)

Was ist Prekarität? Handelt es sich dabei tatsächlich um eine zu nehmende gesellschaftliche Spaltung? Inwiefern ist Prekarität schon immer Bestandteil des Lebens in kapitalistischen Gesellschaften?
Diskussion mit Efthimia Panagiotidis (Kanak Attak, Euromayday HH) und Prof. Klaus Dörre (Arbeitssoziologe, Uni Jena) über die Entwicklungen der Prekarisierungsdebatte und Möglichkeiten einer ‚Politik der Entprekarisierung’.
Moderation: Für eine linke Strömung (FelS)

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* Prekarisierung die alte Ficksau *
26.April | 21:00 | Gelegenheiten e.V. (Weserstr. Ecke Elbestr.)

Heidi Hoh ist bei der Telearbeitsguerilla und kämpft gegen prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse für einen sonnigen Lebensstil. Dabei wollte sie eigentlich nur Wellenreiten, aber da ist leider dieser Zwang, so verdammt viel arbeiten zu müssen und effizient zu sein.
Ein Abend mit einem Hörspiel von René Pollesch, danach Diskussionen, Drinks, gute Musik und Visualisierungen.

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* MAYDAY Parade *
1.Mai. | 14:00 | Näheres unter berlin.euromayday.org

Die seit 2001 stattfindende europaweit stattfindende Parade gegen prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse findet auch in diesem Jahr wieder in Berlin statt. Es geht darum, gemeinsam zu zeigen, dass sich nicht nur die prekären Verhältnisse ausbreiten sondern auch die Kämpfe dagegen. Wir erinnern daran, dass der 1. Mai neben einem
Kampftag auch ein Feiertag ist, ein Feiertag für den Einfallsreichtum der Ausgebeuteten und für ihre Erfolge gegen Staat und Kapital. Sorgen wir dafür, dass es wieder was zu feiern gibt – auch in Berlin!

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* Prekarisierung und Migration *
Ort und Zeit unter www.fels-berlin.de

MigrantInnen, insbesondere Flüchtlinge sind auf eine spezifische Weise von Prekarisierung betroffen. Trotzdem sind auch innerhalb der MigrantInnen große Unterschiede zu erkennen. Als ein Aspekt wird die Prekarisierung in den Herkunftsländern als Fluchtursache thematisiert, außerdem soll das Verhältnis von Flucht, Arbeits migration und Prekarisierung diskutiert werden.
Eine Veranstaltung der Flüchtlingsinitiative Brandenburg (FIB) und Für eine linke Strömung (FelS)

P/OeG Newsletter Januar 2007

1. Bericht PRESOM
2. Freiburg Bürgerentscheid gegen Privatisierung
3. WSF Nairobi-Berichte (p/ög, U.Brand, P.Wahl)
4. zwei Fragen aus der Newsletter-Redaktion
5. Termine/Konferenzen/Ankündigungen

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1. PRESOM Athens Workshop
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„Privatisation and the European Social Model
(26/27 January 2007)“

Das von der Europäischen Union im 6. Rahmenprogramm geförderte
Forschungsprojekt PRESOM (Privatisierung und das Europäische
Sozialmodell) hat mit einer Tagung in Athen sein zweites Programmjahr
gestartet. Gastgeber war die Nicos Poulantzas Gesellschaft in Athen.
Ziel des PRESOM Projektes ist es, eine wissenschaftlich gesicherten
Einschätzung der Auswirkungen von Liberalisierung und Privatisierung
auf das Europäische Sozialmodell zu erarbeiten.

Zum Auftakt gab es eine Podiumsdiskussion mit griechischen
Gewerkschaftsvertretern, auf der verschiedene Aspekte der
Privatisierungspolitik in Europa erörtert wurden. Jürgen Huffschmid,
einer der Koordinatoren des PRESOM Projektes stellte zunächst die Ziele
und Fragestellungen der Projektes vor. Anschließend gab Malcolm Sawyer
von der Business School der Universität in Leeds einen Einblick in
seine Forschung zu den finanzpolitischen Auswirkungen der
Privatisierungspolitik und argumentierte, dass die Privatisierungen
keineswegs zu einer Entlastung der öffentlichen Haushaltsschulden
führen. Im Gegenteil: gerade in langfristiger Perspektive wird die
Sicherung öffentlicher Infrastrukturen und die Versorgung mit sozialen
Dienstleistungen für die öffentlichen Haushalte teurer, wenn sie von
privaten Anbietern gekauft oder geleast werden müssen. Christoph
Hermann von der Forschungs- und Beratungstelle für betriebliche
Arbeitnehmerfragen (FORBA) in Wien stellte die ersten Überlegungen zum
Europäischen Sozialmodell vor. Problem sei es dabei vor allem, dass der
Begriff einer blackbox gleich von verschiedenen politischen Kräften
gebraucht und mit jeweils eigenen Inhalten gefüllt werde. Insbesondere
die Liberalisierungslobby in der EU gebrauchen den Begriff vor allem
als Instrument um bisher bestehende nationalstaatliche Regelungen
auszuhebeln. Die Linke habe es bisher verpasst, den Begriff des
Europäischen Sozialmodells nach eigenen Vorstellungen zu definieren.
Marica Frangakis, von der Nicos Poulantzas Gesellschaft stellte die
ersten Ergebnisse der PRESOM Forschung vor und differenzierte das
Privatisierungsgeschehen sowohl in zeitlichen Wellen als auch nach
Ländergruppen. Insbesondere unterschied sie ein skandinavisches, ein
west-, ein ost- und ein südeuropäisches Privatisierungsmuster. Karoly
Lorant, ungarischer Abgeordneter des Europaparlaments, gab einen
Überblick zum Privatisierungsgeschehen in den mittel- und
osteuropäischen Ländern. Anders als die Privatisierungsprozesse in
Westeuropa erfolgte der Ausverkauf staatlicher Beteiligungen hier nicht
schrittweise, sondern schockartig im Rahmen einer abrupten
gesellschaftlichen Transformation. Die anschließende Diskussion rankte
sich vor allem um die Gefahren und Perspektiven einer Europäisierung.
Während einerseits vor allem auf die neoliberalen Impulse der
Europäischen Union verwiesen wurden, plädierten andere dafür, die
europäische Ebene stärker als politische Arena zu begreifen und sich
entsprechend mit eigenen Vorstellungen in die Europäisierungsprozesse
einzubringen.

Auf der eigentlichen PRESOM Tagung wurde der erste Jahresbericht
diskutiert und die Ergebnise der ersten drei Arbeitsgruppen (WP 1:
Hintergrund und Geschichte der Liberalisierung und Privatisierung in
der EU; WP 2: Theoretische Ansätze zur Privatisierung; WP 3: Konzepte
des Europäischen Sozialmodells) vorgestellt. Anschließend wurden die
Arbeitspläne für 2007 abgestimmt. Im Vordergrund werden dabei
Untersuchungen in den Sektoren Finanzen, Soziale Dienste
(Gesundheitsversorgung und Rentensystem) sowie Bildung stehen. Parallel
sollen die Privatisierungseffekte in den neuen Mitgliedstaaten der EU
in Osteuropa systematisch untersucht werden. Erste Zwischenergebnisse
sollen bereits in den nächsten Monaten auf verschiedenen Konferenzen
(unter anderen auf der Alternativen EcoFin-Konferenz am 20./21. April
in Berlin) zur Diskussion gestellt werden. Die nächste größere
PRESOM-Tagung wird am 29./30. Juli in Ljubljana (Slowenien)
stattfinden.
http://www.presom.eu/

2. Freiburg: Erfolg gegen Privatisierung durch Bürgerentscheid
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Friedrich Hecker (p/ög-Korrespondent – Freiburg) berichtet: In
Freiburg hat am Sonntag, 12. November 2006, ein Bürgerentscheid
erfolgreich den Verkauf der städtischen Wohnungen verhindert. 41.000
Menschen, d.h. 70,5% der Stimmen, sprachen sich gegen den Verkauf aus
und nur 29,5% dafür. Anfang April hatte der grüne Oberbürgermeister
angekündtigt, die Freiburger Wohnungen zwecks Haushaltssanierung zu
verkaufen. Mögliche Käufer: „Heuschrecken“ wie z.B. Fortress oder
Cerberus, denen es nicht um sozialen Wohnungsbau, sondern nur um
größtmögliche Profite geht. Eine schwarz-grüne Koalition beschloss dann
im Juli den Verkauf. Doch zu diesem Zeitpunkt hatte schon die
Bürgerinitiative „Wohnen ist Menschenrecht“
(http://www.wohnen-ist-menschenrecht.de) genügend Unterschriften
zusammen, um einen Bürgerentscheid zu erzwingen. Im Wahlkampf
versuchten die Grünen (von Hausbesetzern zu Hausbesitzern geworden) die
Menschen in Freiburg gegeneinander auszuspielen: Schulen z.B. könnten
nur saniert werden, wenn die Wohnungen verkauft würden. Doch die
Menschen ließen sich nicht davon beirren und im Wahlkampf engagierten
sich unzählige, die erstmals in ihrem Leben politisch aktiv waren. Die
Bürgeriniative wurde dabei von Mieterbeiräten, Gewerkschaften und
Stadtteilvereinen genauso wie von lokalen Oppositionsparteien wie SPD,
Die Linke.WASG und der Linken Liste unterstützt. 30 Jahre nach
erfolgreichen Verhinderung eines Atomkraftwerkneubaus in Wyhl haben die
Freiburger erneut gezeigt, daß die Bevölkerung Politik gegen die
Herrschenden durchsetzen kann.

3. WSF Nairobi-Berichte
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Die rls-Veranstaltung zum p/ög-Themenkreis hieß „Die Kommodifizierung
von Wasser: Von sozialer Krise zum Widerstand“: Der gesellschaftliche
Umgang mit Wasser hat vielfältige Auswirkungen auf ärmere Haushalte.
Der Workshops beleuchtete Wasser als umkämpftes, öffentliches Gut aus
der Perspektive des Nordens und des Südens und widmete sich der Frage
wie Wasserversorgung reorganisiert wird um die Akzeptanz durch
neoliberale Konzepte sicherzustellen. Im Zentrum standen verschiedene
Strategien des Widerstands von Aktivitäten gegen die Einführung von
Vorrauszahlungen bis hin zur Infragestellung der Rekommunalisierung des
Wasserverbrauchs.
Mehr zur rls auf dem WSF:
http://www.rosalux.de/cms/index.php?id=9929&tx_ttnews[tt_news]=703

***

Ulrich Brand berichtete in der Frankfurter Rundschau am 27.1.07:

„Die Netzwerke für eine andere Welt werden dichter“
Das Weltsozialforum 2007 in Nairobi war ein weiterer Schritt zum Aufbau
einer kritischen globalen Zivilgesellschaft. Es wurden Kampagnen für
mehr Gerechtigkeit und Demokratie verabredet.

Die New York Times schrieb vor einigen Jahren, dass sich neben den USA
eine zweite Supermacht herausbilde, nämlich eine globale
emanzipatorische Zivilgesellschaft, deren deutlichster Ausdruck das
jährliche Weltsozialforum sei. Auch wenn diese Einschätzung übertrieben
ist, zeigt sie doch: Die Legitimationskrise des herrschenden
Wirtschaftsmodells ist nicht nur auf dessen für viele Menschen
desaströse Folgen zurückzuführen, sondern auch auf den Protest von
immer mehr Menschen.
Das Weltsozialforum ist ein legitimer Gegenpol zum alljährlich
zeitgleich stattfindenden Weltwirtschaftsforum in Davos. Es ist ein
großer Erfolg, dass das WSF nunmehr zum siebten Mal stattgefunden hat
und zum ersten Mal als Gesamtforum in Afrika. Angesichts der
katastrophalen Lebensumstände vieler Menschen war die Stimmung wütender
als zuvor. Mehr als 10 000 Teilnehmende folgten dem Aufruf, am letzten
Tag 14 Kilometer durch verschiedene Slums zu gehen – für die meisten
ein schockierendes Erlebnis.
Im Zentrum vieler Veranstaltungen stand die Europäische Union und ihre
neoliberalen und militaristischen Weltordnungspolitiken. Die derzeit
verhandelten Economic Partnership Agreements zwischen der EU und vielen
afrikanischen Staaten wurden scharf als neokoloniale Politiken
kritisiert und es wird große Kampagnen von Attac und anderen dagegen
geben. Auch in vielen anderen Bereichen wurden globale Aktionstage und
Kampagnen verabredet.
Eine Diskussion bleibt zentral für die altermondialistischen (für eine
andere Welt eintretenden, Red.) Bewegungen sowie für die praktische
Gestaltung einer anderen Globalisierung. Nämlich über Protest hinaus
Alternativen zu organisieren. Insoweit wären die Bewegungen nicht nur
für die „Aufräumarbeiten“ von neoliberaler und imperialer Zerstörung
zuständig.
Eine Frage wurde häufig gestellt: Soll das Weltsozialforum ein offener
Raum bleiben, in dem sich unterschiedliche Akteure von
Friedrich-Ebert-Stiftung, Kirchen und karitativen NGOs über linke
Gewerkschaften bis hin zu radikalen Basisgruppen treffen? Hier werden
Wissen und Erfahrungen ausgetauscht, Netzwerke geknüpft, Kampagnen
geplant, sich in den je spezifischen Auseinandersetzungen gestärkt.
Insbesondere feministische Gruppen haben über das WSF ihre
transnationalen Netzwerke gestärkt.
Im Vergleich zu früheren WSF gab es in Nairobi wesentlich mehr
Strategietreffen. Da man sich dort häufiger sieht, entstehen jene
Vertrauensverhältnisse, ohne die transnationales demokratisches Handeln
nicht möglich ist.
Ein weitergehender Vorschlag lautet, einen kollektiven Akteur zu
konstituieren, der global agiert. Der senegalesische Wissenschaftler
Samir Amin schlägt die Schaffung einer Fünften Internationale vor. Ein
„neues historisches Subjekt“ sei notwendig. Dies wird scharf
kritisiert: Es sei ein Vorschlag von Intellektuellen, die angeblich
wissen, wo es langgeht. Die Vorstellung eines einheitlichen Subjekts
stehe in der Tradition der autoritären Linken.
Und dennoch trifft die Frage nach einem kollektiven Akteur ein
zentrales Problem: Wie können angesichts der Globalisierung, die
derzeit die ohnehin Stärkeren noch mehr stärkt, Eingriffe in
(welt-)gesellschaftliche Machtverhältnisse gelingen? Gegen Kriege um Öl
und „gegen den Terrorismus“, gegen die enorme Macht des Kapitals, gegen
die wirtschaftlich und ökologisch desaströsen Wirkungen des Weltmarkts,
für eine Stärkung von Demokratie und solidarischer Ökonomie?
Meine Einschätzung ist, dass Alternativen zunächst um konkrete
Konflikte herum organisiert werden. Beispielsweise haben die inzwischen
sehr gut organisierten globalen Bewegungen für Gesundheit, für
Menschenrechte, für Landreform und alternative Landwirtschaft oder für
menschenwürdiges Wohnen Erfahrungen zusammengetragen und daraus
Forderungen entwickelt, die nun in den verschiedenen Kontexten
umgesetzt werden sollen. Die Gewerkschaften unternehmen enorme
Anstrengungen internationaler Vernetzung. Viele internationale
Netzwerke wie jene gegen Wasserprivatisierung oder für das Recht auf
Wohnen haben in Nairobi afrikanische Partner gewonnen.
Entscheidend ist aber, ob und wie über diese konkreten Konflikte hinaus
es möglich wird, grundlegend in politische und ökonomische
Machtverhältnisse einzugreifen. „Eine andere Welt ist möglich!“ –
dieses Motto der altermondialistischen Bewegung verwirklicht sich durch
Bewegungen und Kampagnen, aber eben auch durch sich verändernde
Institutionen, vor allem des Staates und von Unternehmen, inklusive der
Verfügungsrechte über Eigentum.
Dann stellen sich aber weitere entscheidende Fragen: Wie können
emanzipatorische Errungenschaften gesellschaftlich abgesichert werden
und wie können Regeln eines (welt-)gesellschaftlichen Zusammenlebens
entstehen? Welche Rolle spielen hier der Staat, mit dem die meisten
Menschen heute schlechte Erfahrungen machen, und die internationale
Politik? Welchen Stellenwert haben progressive Parteien? Auf diese
Fragen entsteht heute durch Netzwerke und Kampagnen und in konkreten
Konflikten gegen die Macht von Staat und Unternehmen eine erste und
sehr dynamische Antwort.

***

Peter Wahl berichtet über „Licht und Schatten. Eine erste Bilanz des
Weltsozialforums in Nairobi“

Die Bilanz des Weltsozialforums in Nairobi fällt widersprüchlich aus.
Positiv war, dass das Forum in Afrika stattgefunden hat. Es war eine
Schwäche der früheren Sozialforen, dass die afrikanische
Zivilgesellschaft, ihre Themen und Probleme immer stark
unterrepräsentiert waren. Nairobi hat diese Lücke geschlossen. Das
Forum 2007 bot der afrikanischen Zivilgesellschaft die Gelegenheit,
sich als Teil der globalen Bewegung für Alternativen zu den
herrschenden Verhältnissen darzustellen und eine gemeinsame Identität
zu entwickeln. Viele neue Informationen, die Debatten und die
Vernetzung mit anderen haben sicher einen wertvollen Beitrag zu
Stärkung der afrikanischen Zivilgesellschaft leisten können.
Dies gilt zumindest für den anglophonen Teil des Kontinents. Denn auch
in Nairobi war die koloniale Teilung in einen anglophonen und
frankophonen Teil schmerzhaft spürbar. Die Beteiligung Westafrikas war
sehr gering. Damit reproduzierte sich mit umgekehrten Vorzeichen das,
was beim regionalen Forum 2006 in Bamako aufgetreten war.
Auch für Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den Industrieländern, die
zum ersten Mal nach Afrika kamen, brachte das Forum wichtige
Erkenntnisse. Was sie sonst nur aus abstrakten Satistiken über Armut
und Elend kannten, wurde greifbar und mit konkreter Erfahrung
aufgefüllt. Denn die Veranstaltungen, die Zeltstadt mit ihren
Infoständen, die vielen informellen Kontakte wurden von den
existentiellen Alltagsproblemen der afrikanischen Realität dominiert –
Hygiene, Wasser, Aids, Gewalt gegen Frauen, Korruption, Verschuldung,
Straßenkinder usw. Die Akteure, die diese Themen repräsentierten, waren
vorwiegend NGOs, darunter in besonders hohem Maße kirchliche Hilfswerke
sowie große, international operierende NGOs.

Verlust an Attraktivität und Ausstrahlungskraft
Über den positiven Aspekten sollten allerdings nicht die Defizite
dieses WSF übersehen werden. Das fängt mit der deutlich geringeren
Beteiligung an. Auch wenn man nicht brasilianische Verhältnisse zum
Maßstab machen will, wo in Porto Alegre übers Wochende einfach mal
100.000 Brasilianer auflaufen, so muss man zur Kenntnis nehmen, dass
selbst die Teilnahme aus den Industrieländern generell geringer war.
Das heißt: an den Reisekosten allein kann es nicht gelegen haben. Die
Attraktivität in die Bewegung hinein ist sichtlich zurückgegangen.
Auch die politische Ausstrahlung nach außen hat spürbar nachgelassen.
Die internationale Medienberichterstattung war geringer und mehr als
früher auch negativ. Das gilt auch für Deutschland. Damit ist eine der
wichtigsten Funktionen der Foren, nämlich weltweit als Gegenpol zum
Weltwirtschaftsforum in Davos wahrgenommen zu werden, deutlich
reduziert. Die poltische Botschaft, die sonst vom WSF in die Welt
gegangen war, ist schwächer geworden.
Dabei spielen sicher auch „natürliche“ Gründe mit hinein. Der Reiz des
Neuen ist nach sieben Jahren verflogen. Und wer seriös Politik macht,
kann nicht permanent das mediale Bedürfnis nach Spektakularität
bedienen. Aber dennoch ist ein Gutteil der gesunkenen Außenwirkung
hausgemacht.

Pluralität muss Produktivkraft werden
So hat die starke single issue-Orientierungauch eine Kehrseite: eine
qualifizierte Weiterentwicklung der Kritik an der Globalsierung als
systemisches Phänomen fand in Nairobi kaum statt. So wurden z.B. die
internationalen Finanzmärkte, die immerhin den Kern des neuen
Akkumulationsregimes (vulgo: Globalisierung) bilden, in gerade mal fünf
Veranstaltungen ausdrücklich thematisiert.
Auch hat sich der Verzicht auf Großveranstaltungen mit prominenten
Bewegungsintellektuellen nicht ausgezahlt. Abgesehen davon, dass es für
die Identitätsbildung einer so heterogenen Bewegung auch solcher
verbindender Elemente bedarf, ist damit ein Stück Außenwirkung verloren
gegangen.
Übrig bleibt dann nur die unverbundene Koexistenz einer Vielzahl von
single issues. Es geht dabei überhaupt nicht darum, die Pluralität und
Offenheit des Forums einzuschränken. Vielfalt ist aber nur dann eine
Stärke, wenn die unterschiedlichen Elemente in produktive Reibung
miteinander treten, wenn Verallgemeinerung, Synthese und gemeinsame
Lernprozesse möglich werden. Ein statisches Pluralismusverständnis
führt hingegen dazu, dass das Forum zumMarkt der Möglichkeitenzerfällt
– mit dem enstprechenden Risiko der Entpolitisierung.
Insofern ist das Format des WSF in Nairobi mitverantwortlich für den
Verlust an Attraktivität nach innen wie nach außen.
Einige Hilfswerke und NGOs haben diese Entwicklung befördert, weil sie
glauben, das sei „ideologiefrei“. Schützenhilfe bekommen sie dabei von
einigen Linken, die aus einem Affekt gegen „die Promis“, den sie für
basisdemokratisch halten, in die gleiche Richtung ziehen.
Hier sind Reformen notwendig. Es kommt darauf an, ein Format zu
entwickeln, das komplementär zu den single issuesVerallgemeinerung
ermöglicht, scheinbar Disparates und Konkretes bündelt und Pluralität
zu einer Produktivkraft werden lässt.

Das Gegenteil eines Fehlers ist meist wieder ein Fehler
Die Versammlung der Sozialen Bewegunghat ein explizit politisches
Selbstverständnis. Sie will – anders als das Gesamtforum – nicht nur
ein Raum sein, sondern einen transnationalen Akteur konstituieren und
Handlungsfähigkeit entwickeln. Sie ist der Kristallisationskern der
Linken innerhalb des Forums und möchte einen bewussten Gegenakzent zur
Mehrheit der NGOs bilden. Allerdings bestätigte die Versammlung in
Nairobi die alte Binsenweisheit, dass das Gegenteil eines Fehlers meist
wieder ein Fehler ist.
Zwar wurde eine Erklärung verabschiedet, in der nichts Falsches steht,
ansonsten bestand das Meeting aber hauptsächlich darin, dass Fäuste
geballt wurden, Amandla Ngawethu,Parolen vom Typus „Hoch die …Weg
mit…“gleich im Dutzend gerufen wurden und zum Teil sektiererische
Kritik am Forum im allgemeinen und „den NGOs“ im besonderen geübt
wurde. Das ist nicht die Alternative zur Entpolitisierungtendenz des
WSF.
Notwendig ist stattdessen, Räume für eine qualifizierte Kritik der
Globalsierung auf der Höhe der Zeit zu schaffen. Auch das wäre im
Format des Forums zukünftig zu berücksichtigen.

WSF und Staat
Zivilgesellschaft und soziale Bewegungen agieren außerhalb des
formellen politischen Systems. Sie versuchen an einem Problemfeld das
Meinungsklima in der Gesellschaft zu beeinflussen, ohne
parlamentarische Vertretung oder Regierungsbeteiligung anzustreben.
Auch wenn es inhaltliche und politische Übereinstimmungen zwischen
Parteien und/oder Regierungen und zumindest Teilen der
Zivilgesellschaft geben kann, folgen beide Akteurstypen in Strukturen
und Dynamik einer unterschiedlichen Logik und spielen gesellschaftlich
verschiedene Rollen. Insofern ist es weise, wenn das WSF auch weiterhin
auf eine gewisse Distanz zu Parteien und Regierungen achtet.
Das WSF 2007 zeigt aber auch, dass die Durchführung eines solchen
Großevents ohne die Unterstützung mindestens einer großen Kommune
äußerst schwierig ist. Bestimmte Schwächen in Nairobi, wie etwa das
Fehlen der angekündigten Übersetzung, sind nicht einfach ein
organisatorischer Mangel, sondern hochpolitisch. Eine globale Bewegung
muss ein Minimum an Kommunikationsgerechtigkeit garantieren. Wenn alles
in Englisch läuft, macht das nicht nur viele sprachlos, sondern
verfestigt auch noch die monokulturelle Hegemonie einer Sprache.
Solange staatliche Unterstützung für das WSF transparent ist und – wie
in Porto Alegre – nicht zu politischer Instrumentalisierung führt, kann
sie akzeptiert werden. Zumal gerade einige der einflussreichsten
Kritiker einer Kooperation mit dem Staat aus NGOs kommen, die selbst
über Staatsknete in der Größenordnung von sechststelligen
Millionenbeträgen zu verfügen pflegen. Insofern kam die Finanzierung
des WSF 2007 zwar nicht von der Kommune Nairobi oder dem Staat Kenia,
aber indirekt doch zu einem erklecklichen Teil aus staatlichen Budgets,
insbes. den Entwicklungs- und Außenministerien Skandinaviens,
Frankreichs, Großbritanniens, Deutschlands etc. oder aus staatlich
eingetriebener Kirchensteuern in den Industrieländern. Darüber sollte
man offen reden, statt mit zweierlei Maß messen.

Ein anderes WSF ist nötig
Das WSF war eine Erfolgsgeschichte. Aber: Wandel und Wechsel liebt, was
lebt. Damit die Erfolgsgeschichte ihre Fortsetzung findet, ist es an
der Zeit, dass das Projekt auf die Veränderungen der Rahmenbedingen
reagiert und sich erneuert.
Dazu gehört nicht nur das Format, sondern auch die Häufigkeit der
Treffen. Der Jahresturnus ist auf Dauer nicht durchzuhalten. Es muss
Raum und Zeit sein, für dezentrale, regionale und lokale Foren. Auch
was den Austragungsort angeht, dürfen früher einmal gefasste Beschlüsse
in Frage gestellt werden. Warum sollte ein WSF nicht auch einmal in
Europa stattfinden können, solange dies nicht zur Dauereintrichtung
wird?
Nötig wären auch Strukturen, die mehr Kontinuität und Kommunikation
zwischen den großen Meetings ermöglichen. Und last but not least
braucht es mehr Transparenz in den Entscheidungsprozessen. Zwar werden
angesichts der vielen praktischen und finanziellen Probleme
internationaler sozialer Bewegung ideale Standards von repräsentativer
und partizipativer Demokratie immer deutlich unterboten werden, aber
etwas mehr an Transparenz, Partizipation und damit Demokratie als
gegenwärtig ist durchaus möglich.

4. zwei Fragen: Venezuela und Irak
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* Wie läuft die De-Privatisierung der Telekomunikation in Venezuela?
Und vor allem warum läuft sie und wohin läuft sie? Ist das Ziel
Kommunikation für alle und zwar umsonst? Oder geht es um die
Rückeroberung der staatlichen Kontrolle über einen
sicherheitsrelevanten Bereich? Bedeutet die Verstaatlich vielleicht
sogar eine Militarisierung der venezolanischen Kommunikationsbranche?
(vgl. etwa http://www.nzz.ch/2007/01/08/al/newzzEWPEJBL5-12.html und
http://www.ftd.de/boersen_maerkte/geldanlage/150721.html)

* Was machen eigentlich die Ölquellen im Irak? Sprudeln sie einfach so
ruhig vor sich hin – jenseits von Besatzung und Bürgerkrieg? Oder hat
das doch irgendwie beides miteinander zu tun? Und wem gehören die
Quellen jetzt eigentlich – mal ganz formal gesehen? Und ganz praktisch?
Wer kassiert? Und was passiert mit den Petro-Dollars? wird ja wohl
mittlerweile in Dollar abgerechnet, oder? Sonst hätte der Einmarsch ja
gar nichts gebracht…
(vgl. Martina Doering: „Multis sichern sich Pfründe im Irak“ und Greg
Muttitt: „Überproportionaler Anteil am Gewinn“, beides Berliner Zeitung
vom 29.1.07, http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/ )

5. Termine/Konferenzen/Ankündigungen
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Globale Sozial Rechte vs. Neoliberalismus
Diskussionsreihe
1. Was verspricht sich die Linke von der Forderung nach „Globalen
Sozialen Rechten“?
7. 2. 2007, 19.00, Berlin, Haus der Demokratie
http://bewegungsdiskurs.de/html/programm_2007.html#eins

***

Die DHV (Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften) in Speyer
hat ein Forum „Daseinsvorsorge im Spannungsfeld von
Liberalisierungszwang und Demographie“ angekündigt (27. bis 28. März
2007).
http://www.dhv-speyer.de/Weiterbildung/wbdbdetail.asp?id=360

Diskussionsmaterial dazu von Brangsch (Politische Bildung, rls):
„Daseinsvorsorge und Liberalisierung kommunaler Wirtschaftstätigkeit“
http://www.brangsch.de/partizipation/dasein1.htm

***

Im Mai 2007 startet die attacademie.2 mit überarbeitetem Kurskonzept.
Die attacademie ist ein Weiterbildungsprogramm für politisch Aktive aus
der globalisierungskritischen Bewegung mit zwei Schwerpunkten
(Reichtum/Eigentum und Globale soziale Rechte).
http://www.attac.de/attacademie/
Info-Flyer:
http://www.attac.de/attacademie/media/Ausschreibung-Attacademie2.pdf
Bewerbungsschluss ist der 15.04.07

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Linksfraktion fordert Privatisierungsbericht

In dem Antrag heisst es:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. gemeinsam mit den anderen deutschen Gebietskörperschaften einen Privatisierungsbericht über die Auswirkungen der Privatisierungen seit 1995 vorzulegen;

2. bis zur Vorlage und Diskussion des Privatisierungsberichtes keine weiteren Privatisierungsschritte zu unternehmen.

3. Der Privatisierungsbericht der Bundesregierung soll für die privatisierten Bereiche darstellen:

– die Privatisierungsschritte der öffentlichen Hand;

– die Ergebnisse aller Volksabstimmungen einschließlich Bürgerbegehren und Bürgerentscheide, die zu Fragen der Privatisierung durchgeführt wurden;

– die Auswirkungen auf die öffentlichen Finanzen;

– die Auswirkungen auf politische Gestaltungsmöglichkeiten (Einfluss- möglichkeiten auf Geschäftsführung und Informationsrechte der öffentlichen Hand), Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Informationsrechte für Bürgerinnen und Bürger;

– die Entwicklung von sozialversicherungspflichtiger und sonstiger Beschäftigung, Arbeitsentgelten nach Lohngruppen, Managementgehältern und Ausbildungsplätzen;

– die Auswirkungen auf Wochenarbeitszeit, Sonntags- Feiertags- und Nachtarbeit und Schichtarbeit;

– die Entwicklung von Preisen, Gebühren und Gewinnen;

– die Entwicklung von Qualität der Leistung, Verbrauchernähe und flächendeckender Versorgung und

– die Entwicklung der Investitionen.

Dem Bericht ist ein weiterer Privatisierungsbegriff zugrunde zu legen, der neben dem Verkauf von Beteiligungen und sonstigen Vermögenswerten auch die Ausgliederung öffentlichen Vermögens in privatrechtlich organisierte Unternehmungen und die Übertragung öffentlicher Aufgaben an private Unternehmen beinhaltet.
Die Auswirkungen auf die öffentlichen Finanzen sollen umfassend untersucht werden. Den Privatisierungserlösen sind die Vermögensverluste und die zukünftigen Mehrausgaben und Einnahmeverluste gegenüberzustellen. Steuerminder- einnahmen durch internationale Transferierbarkeit von Gewinnen oder durch Steuervergünstigungen etwa bei öffentlich-privaten Partnerschaften (Public Private Partnerships) sind zu berücksichtigen. Es soll auch berücksichtigt werden, inwieweit durch Personalabbau Steuereinnahmen und Sozialbeiträge sinken. Bei der Darstellung der Entwicklung von Beschäftigung und Ausbildung ist auf die Situation von Frauen speziell einzugehen. Es ist anzugeben, inwieweit die Verschuldungsgrenze des Artikel 115 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) und der entsprechenden Bestimmungen in den Länderverfassungen nur aufgrund von Privatisierungserlösen eingehalten wurden.
Die Darstellung der Preisentwicklung in privatisierten Bereichen soll nach Geschäfts- und Privatkundensegment unterscheiden. Hierbei ist zu berücksichtigen, inwieweit die Preisentwicklung auf allgemeinen technischen Fortschritt zurückzuführen ist, der auch in öffentlich-rechtlichen Unternehmen realisiert werden kann. Als Maßstab hierfür sind internationale Vergleichsstudien heran- zuziehen. Auf die Entwicklung von Sozialtarifen ist einzugehen. Der Privatisierungsbericht soll damit deutlich über den Beteiligungsbericht des Bundes hinausgehen.

Begründung

In zahlreichen Bürger- und Volksentscheiden wurden Privatisierungen öffentlichen Eigentums abgelehnt, beispielsweise in Hamburg und in Mülheim/Ruhr. Einer Umfrage im Auftrage des Sparkassen- und Giroverbandes Hessen- Thüringen zufolge sind 82 Prozent der Hessen gegen einen Verkauf von Sparkassen.
Aktuell geplante Privatisierungen sind sehr umstritten. Gegen den Plan der Regierung Baden-Württembergs, den größten Teil der historischen Handschriftenbestände der Badischen Landesbibliothek zu verkaufen, und damit das Fürstenhaus Baden aus einer finanziellen Notlage zu retten, protestierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt und verhinderten den Verkauf bis auf weiteres.
Das Flugsicherungsgesetz, das den Verkauf von 74,9 Prozent der Anteile an der Deutschen Flugsicherung GmbH vorsieht, wurde vom Bundespräsidenten zunächst nicht unterschrieben, um verfassungsrechtliche Bedenken zu prüfen. Bestärkt wird die Kritik an der Privatisierung der Flugsicherung durch das Urteil des Landgerichts Konstanz zum Flugunglück von Überlingen, in dem die Bundesrepublik Deutschland haftbar gemacht wird, da sie ohne Staatsvertrag die Flugsicherung in deutschem Luftraum der privatrechtlich organisierten Schweizer Firma Skyguide übertragen hatte. Das Gericht stellte fest, dass die Sicherstellung des Flugverkehrs grundgesetzliche Aufgabe des Staates ist.
Umstritten ist auch der Börsengang der Deutsche Bahn AG. Kritiker befürchten einen Verkauf weit unter Wert, Personalabbau, großflächige Streckenstilllegungen, einen Rückgang der Investitionen und stark steigende Preise. Sie verweisen dabei auf die Bilanz der Bahnprivatisierung in Großbritannien.
Die Bundesregierung plant für 2007 laut Haushaltsentwurf Einnahmen aus der Veräußerung von Beteiligungen und aus der Verwertung von sonstigem Kapitalvermögen in Höhe von 9,2 Mrd. Euro. Angesichts umfangreicher geplanter Privatisierungen und ernstzunehmender Kritik ist es dringend erforderlich, eine Bilanz der Auswirkungen der bisherigen Privatisierungspolitik zu ziehen.
Privatisierungserlöse werden dazu verwendet, Einnahmeverluste an anderer Stelle auszugleichen. Laut Finanzplanung will der Bund bis 2009 so haushalten, dass die Verschuldungsgrenze nur dank Privatisierungserlöse eingehalten wird. Dies läuft dem Grundgedanken des Artikel 115 GG zuwider, die Vermögenssubstanz des Staates zu erhalten. Das Sachvermögen des Staates geht, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, seit Jahren kontinuierlich zurück. Privatisierungen führen neben den Vermögensverlusten auch zu nachhaltigen Einnahmeverlusten für die öffentliche Hand. Vor weiteren Privatisierungsschritten müssen diese Auswirkungen dringend detailliert untersucht werden. Auf eine kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. nach den Einnahmeverlusten, die mit den Einmaleinnahmen im Haushaltsplan 2007 verbunden sind, antwortete die Bundesregierung: „Im Übrigen entfallen im Rahmen von Vermögensveräußerungen des Bundes generell künftige Vermögenserträge, deren Höhe – wie etwa bei Dividenden – gegenwärtig jedoch nicht prognostiziert werden kann.“ (Bundestagsdrucksache 16/2327) Dieser Aussage ist zu entnehmen, dass die Bundesregierung eine bewusste Abwägung zwischen der kurzfristigen und langfristigen Haushaltswirkung bisher nicht vorgenommen hat. Der angemessene Umgang mit der Ungewissheit der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung ist nicht der Verzicht auf Prognose, sondern die Anwendung wissenschaftlicher Prognosemethoden unter Kenntlichmachung von Prognoseunsicherheiten. Dies soll im Privatisierungsbericht geschehen.
Die Privatisierungen von Post und Telekom waren mit hohen Arbeitsplatz- und Ausbildungsplatzverlusten verbunden. Allein die Telekom AG hat von ihrer Privatisierung bis 2005 mehr als 100 000 Stellen gestrichen. Bis 2008 sollen weitere 32 000 Stellen abgebaut werden. Vor weiteren Privatisierungen müssen die bisherigen Privatisierungsfolgen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gewissenhaft untersucht werden.
Privatisierungsmaßnahmen wurden meist mit erwarteten Effizienzgewinnen begründet. Es stellt sich die Frage, inwieweit für die Verbraucherinnen und Verbraucher, nicht nur für Großkunden, die Versorgung mit günstigen und hoch- wertigen Leistungen durch Privatisierungen zugenommen hat. Versorgungsdichte und Bürgernähe haben etwa bei der Post abgenommen. Sozialtarife wurden bei privatisierten Unternehmen teilweise zurückgenommen. Bei der Feststellung von Effizienzgewinnen darf nicht stillschweigend angenommen werden, ein öffentliches Unternehmen würde heute noch mit der Technologie arbeiten, die zum Zeitpunkt der Privatisierung aktuell war.
Privatisierung und Liberalisierung von so genannten natürlichen Monopolen, also in Wirtschaftszweigen mit sinkenden Durchschnittskosten, und in netzgebundenen Wirtschaftszweigen haben, wie von fast allen Wirtschaftstheorien vorausgesagt, zu Monopolgewinnen geführt. Vor einer Untersuchung dieser Entwicklung darf die geplante Privatisierung von Deutsche Flugsicherung GmbH, Deutsche Bahn AG und Flughafenbeteiligungen keinesfalls umgesetzt werden.
Auf der Ebene der Länder und Kommunen sind Privatisierungen eine Antwort auf Haushaltsnotlagen, die unter wesentlicher Beteiligung der Bundesregierung durch steuerpolitische Entscheidungen verursacht wurden. Da diese Entwicklung nur aus dem finanzpolitischen Zusammenhang zu beurteilen ist, muss der Privatisierungsbericht die Ebene des Bundes, der Länder und Gemeinden berücksichtigen.
Bereits 1998 forderte der Deutsche Gewerkschaftsbund einen Privatisierungsbericht von der Bundesregierung ein. Die Bundesregierung sollte dieser Aufforderung zügig nachkommen.

Privatisierungsfolgen in Neuseeland

Helen Clark, Premierministerin von Neuseeland, im Interview mit der NZZ:
«Wir brauchen einen starken Staat»
http://www.nzzfolio.ch/www/d80bd71b-b264-4db4-afd0-277884b93470/showarticle/519837ca-e9c2-4c20-918c-31ac11ad8045.aspx
kurzer Ausschnitt zum Thema Privatisierung und ihre Folgen:
Frage: Neuseeland hat damals im großen Stil Staatseigentum verkauft. Das war also keine gute Idee?
Helen Clark: Das waren oft Desaster! Zum Beispiel die Privatisierung der Eisenbahn und auch der Fluggesellschaft. Wir mussten beide in den letzten fünf Jahren zurückkaufen, sonst hätte Neuseeland weder das eine noch das andere. In der Telekommunikation wurde aus dem Staatsmonopol ein Privatmonopol, das Mitbewerbern den Zugang verwehren konnte.
(gefunden bei http://www.nachdenkseiten.de/?p=1983 )

Das vollstaendige Interview der NZZ:

Privatisierung – NZZ Folio 09/06
«Wir brauchen einen starken Staat»

Seit die Sozialdemokratin Helen Clark Neuseeland regiert, hat sie die Privatisierung behutsam zurückgedreht. Und das Land kann erstaunlich gute Wirtschaftsdaten vorweisen. Trotzdem oder deswegen? Von Anja Jardine

Frau Premierministerin, Neuseelands Wirtschaft floriert, es gibt kaum Arbeitslose. Verdanken Sie das den «Rogernomics» – den radikalen Wirtschaftsreformen der 1980er Jahre, benannt nach dem damaligen Finanzminister Roger Douglas?

Das glaube ich nicht. Die Deregulierung erfolgte vor zwanzig Jahren, danach sind wir jahrelang furchtbar gestrauchelt. Und ich bin überzeugt, dass die Rogernomics deshalb nicht funktioniert haben, weil es für den Staat keine angemessene Rolle gab, denn es bedarf in der Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts unbedingt einer Führungsrolle des Staates. Seit ich im Amt bin, versuche ich, die für Neuseeland herauszuarbeiten.

Worin besteht die Rolle?

Wir sind ein kleines Land, wir müssen als «Neuseeland Incorporated» arbeiten, wir müssen unsere Politik eng auf unsere Wirtschaft ausrichten – ihre Potentiale identifizieren, gezielt forschen und entwickeln, sicherstellen, dass genug Risikokapital zur Verfügung steht. Die Privatwirtschaft reisst sich nicht drum, Ideen zu finanzieren, die sich noch nicht bewiesen haben. Sowenig wie sie freiwillig Grundversorgung gewährleistet oder in Infrastruktur investiert. Das hat uns die Erfahrung gelehrt.

Neuseeland hat damals im grossen Stil Staatseigentum verkauft. Das war also keine gute Idee?

Das waren oft Desaster! Zum Beispiel die Privatisierung der Eisenbahn und auch der Fluggesellschaft. Wir mussten beide in den letzten fünf Jahren zurückkaufen, sonst hätte Neuseeland weder das eine noch das andere. In der Telekommunikation wurde aus dem Staatsmonopol ein Privatmonopol, das Mitbewerbern den Zugang verwehren konnte. Es mangelt in diesem Bereich noch heute an Wettbewerb und Angebot. Wir haben grosse Mühe, das zu korrigieren. Zum Beispiel versuchen wir gerade, im Bereich der Breitbandtechnologien das Gefüge aufzubrechen.

Warum gab es beim Verkauf keine Auflagen, die Grundversorgung und Wettbewerb sicherstellten?

Wir waren mit die ersten weltweit, die deregulierten. Das Pendel schwang von einer Art westlichem Albanien, das wir waren, zu einem Zustand ohne jede Regeln. Die privaten Energiekonzerne zum Beispiel haben über Jahre hinweg nur den Profit abgezogen und weder in Instandhaltung noch Erneuerung des Netzes investiert.

Was unter anderem dazu führte, dass 1998 für 66 Tage weite Teile Aucklands ohne Strom waren.

Ja. Ähnlich erfolglos war der Verkauf der Banken: der Postbank und auch der Bank of New Zealand. Es gibt heute keine neuseeländische Bank von Rang mehr, die meisten sind in australischer Hand. Und weil diese Grossbanken kein Interesse am kleinen Mann haben, konnte man in manchen Städten jahrelang kein Konto mehr eröffnen. Die Regierung musste auch da einspringen und hat in den Postfilialen eine Bank eingerichtet.

Hätte Neuseeland 1984 die Möglichkeit gehabt, die Reformen behutsamer durchzuführen?

Fest steht: Wir konnten nicht weitermachen wie bisher. Aber es hätte besser geplant sein müssen, von entsprechenden Massnahmen begleitet. So gibt es in Neuseeland zum Beispiel Potential für Nischenproduktion, doch dazu bedarf es hochqualifizierter Arbeiter und Innovation. Das hätte man parallel initiieren müssen. Vor allem hätten die Menschen wissen müssen, was auf sie zukommt. Die haben die Reformen nie gewählt. Auf diese Weise verliert man die demokratische Legitimation. Wir mussten das Wahlrecht ändern – vom britischen Modell zum deutschen Verhältniswahlrecht, das kleinen Parteien den Zugang erleichtert. Die Menschen haben uns nicht mehr vertraut.

Wie waren Sie persönlich in die Reformen involviert?

Ich war im Parlament, und ich war zweifelsfrei nicht einverstanden mit dem, was da geschah. Und als ich 1987 dann Ministerin für Wohnungsbau und Gesundheit wurde, musste ich mich mit den sozialen Konsequenzen der Reformen auseinandersetzen, und die waren enorm. Wenn man ein System mit freier Ausbildung und freiem Gesundheitswesen abschafft, bewegt man sich als Nation rückwärts.

Aber es gab keine nennenswerte Opposition. Die National-Partei machte weiter, wo Labour aufgehört hatte.

Moment, die Labour-Regierung hat in der ersten Reformrunde die Wirtschafts- und Finanzmärkte dereguliert, aber wir haben weder das soziale Netz gekappt noch den Arbeitsmarkt angefasst. Das hat die National Party getan, als sie 1990 an die Macht kam. Die haben Renten und Sozialleistungen gekürzt, Gebühren für Krankenhäuser und Universitäten eingeführt sowie die Gewerkschaften entmachtet. Es kam zu Massenentlassungen. Da ging es erst richtig abwärts.

Aber es war die Labour-Partei, die den Bauern über Nacht die Subventionen gestrichen hat.

Das war richtig. Wir mussten die Subventionen los werden – dauerhafte Bezuschussung der Produktion ist grundsätzlich falsch –, aber es geschah zu schnell, zu hart, zu radikal. Viele Farmer sahen ihr Lebenswerk zerstört. Mein Vater, ebenfalls Bauer, nahm Antidepressiva.

Wer die Krise durchgestanden hat, scheint heute sehr robust zu sein. Ist das so?

Ja, Sie finden keinen einzigen Bauern im Land, der zu den alten Zuständen zurückwill. Unsere Farmen sind hochproduktiv, und der abgelegenste Hochlandbauer hat ein ausgeprägtes unternehmerisches Bewusstsein. Aber es geht nicht nur um Milch, Fleisch, Wolle und Holz, sondern zum Beispiel auch um Biotechnologie. Wir haben vor Jahren eine Taskforce mit Leuten aus Industrie und Regierung eingerichtet, um auf diesem Feld eine klare Strategie zu entwickeln. Die Herausforderung besteht für uns darin, Mehrwert zu schaffen: Functional Food, Nahrungsergänzungsstoffe. Das müssen wir fördern, fördern, fördern.

Weit über 90 Prozent der rund 13 000 Milchbauern haben sich zu einer Grosskooperative zusammengeschlossen: Fonterra. Das sieht nach Sozialismus aus.

Wenn neuseeländische Milchproduzenten anfangen, sich gegenseitig zu unterbieten, haben sie auf dem Weltmarkt keine Chance; wir müssen nach aussen hin gemeinsam auftreten; unsere mittelgrossen Molkereien wären andernfalls längt von Nestlé oder sonstwem geschluckt worden. Deswegen haben wir dem Zusammenschluss eine Sondererlaubnis erteilt. Die Mitgliedschaft ist für die Bauern freiwillig, es gibt drei weitere kleinere Milchkooperativen, so dass im Inland durchaus Wettbewerb herrscht. Kooperativen spielten in Neuseeland schon immer eine grosse Rolle. Auch Obstbauern tun sich für Marketing und Vertrieb zusammen – die Kiwis unter Zespri, die Äpfel unter Enza.

Es ist also legitim, wenn ein Staat seine Industrien vor den rauhen Winden der Weltwirtschaft zu schützen versucht? Tut Europa mit seinen Subventionen für die Landwirtschaft nicht genau das?

Der Unterschied ist der, dass wir die Landwirtschaft als Industrie betrachten, während sie in Europa eher als Naturpflege gesehen wird. In Anbetracht der Grössenordnung der Landwirtschaft in Europa ist das absurd. Länder wie die Schweiz sollten unterscheiden zwischen der Unterstützung ländlichen Lebens einerseits und der Landwirtschaft als Industrie andererseits, denn so wie es nun läuft, profitieren grosse Agrarbetriebe am meisten von den Subventionen. Und das ist unfair gegen alle anderen.

Wie steht es mit dem Recht eines Staates auf Selbstversorgung?

Das ist altes Denken – allerdings auch in der Psyche der Briten tief verankert. Aber wir müssen den Mechanismen im neuen Europa vertrauen.

Subventionen gehören also gestrichen. Welche weiteren Lehren haben Sie aus den Rogernomics gezogen?

Nicht Privatisierung ist das zentrale Thema, vielmehr geht es darum, Staatsunternehmen so zu organisieren, dass sie nicht nach politischen Kriterien geführt werden, sondern nach unternehmerischen. Neuseeland hat nie Fabriken nach sowjetischem Muster besessen, sondern bei uns ging es um Infrastruktur. Die Eisenbahn gehört zur Grundausstattung, sie ist ein natürliches Monopol. Auch die Airline hätte nicht privatisiert werden sollen, es ist schwer, mit einer Fluggesellschaft Geld zu verdienen. Aber wir vermarkten Neuseeland durch Air New Zealand, deswegen brauchen wir eine Fluggesellschaft, um im Tourismus Geld zu verdienen.

Welche Rolle spielt die nationale Identität in einer globalisierten Wirtschaft?

Wenn wir als Regierung die Kultur nicht fördern, enden wir als Vorstadt von Los Angeles, Sydney oder Frankfurt. Aber wir haben unsere eigenen Geschichten zu erzählen. Europäischer Lebensstil in Neuseeland ist anders als in Europa, Maori gibt es nur hier.

Offensichtlich bedarf es immer wieder der Ermutigung, des Appells an dieses Nationalbewusstsein?

Jemand muss dafür Sorge tragen, dafür Raum schaffen, und dabei geht es letztlich auch um Geld. Warum werden in Neuseeland in letzter Zeit so viele interessante Filme gedreht? Weil wir dafür bezahlen! Wir haben einen Fonds eingerichtet, der Drehbuchautoren und Filmemacher anlockt. Das Gleiche gilt für Musik. Wir stellen sicher, dass neuseeländische Kultur präsent ist. Wenn wir unsere eigene Kultur in Mode, Musik und Kunst zum Ausdruck bringen, gibt das den Menschen Sicherheit.

Fördern Sie die Kultur auch aus ökonomischen Gründen?

Ganz gewiss, denn ikonische Industrien wie Film haben einen Multiplikatoreffekt, der das Image eines Landes prägt, wovon wiederum Tourismus und Handel profitieren. Wir versuchen hier eine ganzheitliche Marke aufzubauen.

Nach den Reformen stand es schlecht um das gesellschaftliche Wohlbefinden. Das soziale Klima war rauh.

Das stimmt, es gab eine latente Aggression, und solche Spannungen in der Gesellschaft darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Schauen Sie nur, was in Frankreich passiert: zehn Prozent Arbeitslosigkeit, konzentriert in Ghettos, da brennen die Städte. Und wenn Sie sich die Geschichte Deutschlands vor Augen führen, so war es in Zeiten von Armut und Arbeitslosigkeit in der Weimarer Republik, als Hitlers Stunde kam. Ein soziales Gefüge sollte sehr behutsam restrukturiert werden. So gesehen hatten wir in Neuseeland damals erstaunlich wenig Krawall.

Aber eine sehr hohe Jugendselbstmordrate.

Ich bin überzeugt, dass das mit der hohen Jugendarbeitslosigkeit zu tun hatte. Junge sahen keine Zukunft. Seit sie wieder Hoffnung haben, ist die Rate zurückgegangen.

Ihre Politik stand von Anfang an unter dem Slogan «Closing the Gap» (Schliessen der Kluft).

Es ging sowohl um die Kluft zwischen Maori und weissen Neuseeländern als auch zwischen Arm und Reich. Was die Angleichung der Einkommen anbelangt, so müssen wir zusehen, dass unsere besten Leute im Land bleiben, aber auch im untersten Segment Jobs erhalten. Ein Instrument, trotz den Differenzen soziale Sicherheit zu gewährleisten, sind Steuererleichterungen für geringe Einkommen, Investitionen in Gesundheit und Ausbildung, Pensionen. Wir sind Sozialdemokraten, wir wollen keine Bettler auf der Strasse. Schauen Sie sich in Neuseeland um, Sie werden keine finden.

Anja Jardine ist NZZ-Folio-Redaktorin.

Hamburg will Hafen verkaufen

Der Handel mit Asien lässt den Hamburger Hafen boomen. Die städtische Hafengesellschaft HHLA freut sich über zweistellige Zuwachsraten im Güterverkehr mit China, steht dabei jedoch vor einem Kapazitätsproblem: Wegen des Containerbooms müssen die Umschlaganlagen in den kommenden Jahren kräftig ausgebaut werden. Dieses Unterfangen will die Stadt nicht alleine beschreiten. Der Hamburger Senat hat ein Verfahren zur Privatisierung von 49,9 Prozent der HHLA eingeleitet, des größten Hamburger Hafenbetriebs mit einem Marktanteil von rund zwei Dritteln am Containerumschlag. Wie die Welt berichtet, hat sich nun ein interessanter Investor aus Dubai zu Wort gemeldet: Der weltweit drittgrößte Hafenkonzern Dubai Ports World will in Hamburg einsteigen. Vorstandschef Mohammed Scharaf begründet diesen Schritt mit der strategischen Bedeutung des Hamburger Hafens für Europa begründet.

Pralle Kriegskasse
Hintergrund könnte jedoch auch der Rückzug der Scheichs aus dem US-Hafengeschäft sein: In den USA war massive Kritik laut geworden, nachdem Dubai Ports Anlagen in wichtigen Häfen Nordamerikas übernommen hatte. Politiker äußerten Sicherheitsbedenken aufgrund der Kontrolle von „Heimathäfen“ durch das arabische Unternehmen. Mittlerweile gab Dubai Ports bekannt, das US-Hafengeschäft in den nächsten Monaten wieder zu veräußern – was finanziellen Spielraum für eine Investition in Hamburg schaffen würde. Doch die Araber sind mit ihrem Interesse für Hamburg nicht allein. Bei der Beratungsgesellschaft KPMG sollen im Rahmen der Ausschreibung mehr als 100 Anfragen und mehr als 30 ernst zu nehmende Angebote eingegangen sein. Darunter sind neben Dubai Ports die Deutsche Bahn und Rhenus, der direkte Konkurrent Eurogate und Finanzinvestoren wie 3i, die von dem früheren HHLA-Chef Peter Dietrich beraten werden. Die meisten Bieter haben sich noch nicht öffentlich zu ihrem Interesse bekannt; weder die Finanzbehörde noch die HHLA selbst bestätigen die Namen der Interessenten. Bis zum Januar soll die KPMG rund zehn Unternehmen auswählen, die in den engeren Bewerberkreis aufgenommen werden und näheren Einblick in die Unternehmensdaten der HHLA erhalten. Die HHLA war vor einem Jahr in den Blickpunkt einer breiteren Öffentlichkeit geraten, weil die Deutsche Bahn einsteigen und im Gegenzug ihre Unternehmenszentrale nach Hamburg verlegen wollte. Das Projekt scheiterte an politischem Widerstand. Der Bahn werden mittlerweile eher weniger Chancen eingeräumt, weil bedeutende Kunden des Hamburger Hafens Zweifel an ihrer Neutralität hegen.

Arbeitnehmer fordern Alleingang
Widerstand gegen die Privatisierung kommt hingegen von der Arbeitnehmerseite. Sie vertritt die die Auffassung, dass die HHLA ihre notwendigen Investitionen für die Zukunft in Milliardenhöhe aus eigener Kraft stemmen kann und keinen privaten Investor benötigt. Die Gewerkschaft ver.di hat indes bereits erste Kampfmaßnahmen angekündigt. Nach einer Betriebsversammlung an diesem Donnerstag haben ver.di und Betriebsrat zu einer Demonstration durch die Hamburger Innenstadt aufgerufen. Bereits am Tag zuvor wollen die Arbeitnehmer Flugblätter in allen großen Hamburger U-Bahn-Stationen verteilen, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Während der Betriebsversammlung ruht der Güterumschlag auf den Containerterminals der HHLA.
(dpa/sueddeutsche.de)
(Bilder vom Streik: http://andreas-gruenwald.blog.de/2006/12/)
www.sueddeutsche.de/wirtschaft/artikel/584/94490/

P/OeG Newsletter Oktober/November 2006

1. Konferenzbericht „Wasser ist keine Ware“
2. Privatisierung Immobilien/Wohnraum
3. Termine/Konferenzen/neue Literatur
4. „Frisch gebloggt“ (Neues im P/ÖG – Weblog)

=================

1. Wasserprivatisierung und Nachhaltigkeit
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„Wasser ist keine Ware“. Mit diesem aus der globalisierungskritischen
Bewegung stammenden Slogan ist die Stimmung gut beschrieben, die sich
im Verlauf der 2. Internationalen Nachhaltigkeitskonferenz der RLS am
26. und 27. Oktober 2006 abzeichnete. Zwei Tage lang diskutierten
Wissenschaftler, Aktivisten und Politiker aus Südafrika, Uruguay,
Venezuela, Bulgarien, Großbritannien, Österreich und Deutschland in
fünf Workshops und vier Podiumsdiskussionen mit rund 80 Teilnehmenden
teilweise höchst kontrovers die Auswirkungen der Kommerzialisierung
von Wasser für nachhaltige Entwicklung.
Komplette Dokumentation der Veranstaltung (bald auch mit Audio-
Dateien zum Anhören, für jene, die nicht kommen konnten):
http://www.rosalux.de/cms/index.php?id=11868&type=0

***

Infos zur WRRL
Auch die Wasserrahmenrichtline besagt: „Wasser ist keine übliche
Handelsware, sondern ein ererbtes Gut, das geschützt, verteidigt und
entsprechend behandelt werden muß.“ Die Wasserrahmenrichtlinie (WRRL)
ist die erste EU-weit verbindliche Regelung, die eindeutig Bezug
nimmt auf ökonomische Instrumente zur Umsetzung umweltpolitischer
Zielsetzungen. Die Grüne Liga betreibt ein Informationsportal zum
Thema Wasserrahmenrichtlinie, unter
http://www.wrrl-info.de

***

Aqualibrium
Ein Webportal präsentiert die Ergebnisse des Forschungsprojekts
Aqualibrium, aus 14 EU-Ländern Berichte zu Stand und Debatte um die
Privatisierung und Kommerzialisierung von Wasser, mehr dazu unter
http://www.wrrl-info.de

***

Bericht der UNDP zur globalen Wasserkrise
Human Development Report 2006 von UNDP zum Thema „Beyond scarcity:
Power, poverty and the global water crisis“, jetzt zum Download unter
http://hdr.undp.org/hdr2006

2. Privatisierung Immobilien/Wohnraum
———————————
Einen Schwerpunkt in wemgehoertdiewelt.de bildeten in den letzten
beiden Monaten Meldungen über Wohnungsprivatisierungen und Kämpfe
dagegen.
So sieht die Zeitung ‚Die Welt‘ einen Wendepunkt am Wohnungsmarkt,
anderswo sind Proteste von Mieterorganisationen erfolgreich:
bestimmte Wohnungen werden nicht verkauft. Die Freiburger erreichen
ähnliches mit ihrem Bürgerentscheid gegen die lokalen
Privatisierungspläne, während in Berlin schon wieder die Gelegenheit
lockt: Ein Kaufangebot der Gehag für die marode WBM. Die FU-Berlin
hat (schon länger) eine Dissertation über die Privatisierungen des
Landes Berlin online. Andere machen Lobby für den
Wohnungsprivatisierungsmarkt, während die sogenannten Real Estate
Investment Trusts (REITs) heftig in der Diskussion sind. Das ganze
wird beforscht und dafür gibt’s sogar Geld: eine
Forschungmittelausschreibung zu einem neueren Begriff der Diskussion
um Privatisierung öffentlicher Wohngesellschaften.
Das alles und mehr in der Kategorie ‚Wohnen‘ im p/ög-Blog:
http://www.rosalux.de/cms/index.php?id=ppg&tx_ttnews[cat]=48

3. Termine/Konferenzen
———————

Für kurz Entschlossene:
Die SPD Friedrichshain-Kreuzberg läd herzlich ein zur Veranstaltung
„Schlanker Staat? Grenzen der Privatisierung“ mit: Prof. Ernst Ulrich
von Weizsäcker. Herausgeber des neuen Berichtes an den Club of Rome
„Grenzen der Privatisierung. Wann ist es des Guten zu viel?“, sowie:
Stefan Zackenfels, MdA, Vorsitzender Unterausschuss für
Beteiligungsvermögen und Gerlinde Schermer, Sprecherin des linken
Donnerstag-Kreises der SPD, Moderation: Martin Stürmer (Mitautor)
Wann? am Donnerstag, 23. November 2006, 18 Uhr in der St. Thomas
Gemeinde am
Mariannenplatz, Gemeindehaus, Bethaniendamm 25, 10997 Berlin.

Heribert Prantl kommentierte das Buch in der Süddeutschen Zeitung (Nr.
255, 06.11.2006, S. 4) übrigens folgend:

„….Wenn der Staat immer weniger Gestaltungsmacht hat – was kann der
Bürger dann noch demokratisch mitgestalten? Der Rückzug des Staates
darf nicht so weit gehen, dass er sich selbst in Frage stellt. Er
muss ein Mindestmaß an Sicherheit für seine von Zukunftsängsten
gebeutelten Menschen bieten. Wenn sie das Gefühl haben, dass die
staatliche Ordnung das nicht mehr leisten kann oder will, schwindet
ihre Loyalität zu Staat und Staatsform. Der Bundespräsident hat mit
seiner Weigerung, die Privatisierung der Flugsicherung zu
unterschreiben, das Nachdenken über die Grenzen der Entstaatlichung
befördert. Das Verfassungsgericht hat mit der Erlaubnis, öffentliche
Aufträge an soziale Bedingungen zu knüpfen, der Politik einen neuen
Weg gewiesen. Vielleicht wird daraus ja ein neuer Frühling des Staates.“

***

Kongress: Solidarische Ökonomie, Berlin
Vom 24. bis 26. November 2006 findet in den Räumen der Technischen
Universität der „Kongress Solidarische Ökonomie. Wie wollen wir
wirtschaften?“ statt.
Unter anderem mit Themen wie „Daseinsvorsorge in Bürgerhand: Wasser
und Strom“, „Perspektiven rückeroberter Betriebe“ oder „alte und neue
Kooperativen in Venezuela“.
http://www.solidarische-oekonomie.de

***

Seminare gegen die 9. Vertragsstaatenkonferenz der Konvention über
biologische Vielfalt 2008 in Deutschland. G8 zu COP 9!
Die BUKO-Kampagne gegen Biopiraterie beteiligt sich an den Protesten
gegen den G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm: „Wir wollen unterbinden,
dass biologische Vielfalt und traditionelles Wissen weiterhin zur
grünen Beute von Konzernen werden. Wir sehen aber auch die
Kontinuität dieser neuen Form des Kolonialismus, bei der das G8-
Treffen nur ein Forum unter vielen ist. Nach der Enteignung von Land
und der Versklavung von Menschen im Laufe der kolonialen Eroberung
der Welt ist Biopiraterie eine weitere große Enteignungswelle im
Rahmen der kapitalistischen Expansion.“, siehe zu den Terminen der
Kampagne gegen Biopiraterie unter http://www.biopiraterie.de

***

Wie an anderer Stelle von uns berichtet, führte die Berliner
MieterGemeinschaft e.V. im Februar 2006 eine Konferenz mit dem Titel
„Privatisierung in Berlin – Ist Privatisierung nur eine Folge ‚leerer
Haushaltskassen‘ oder ein Instrument globaler Verwertungsstrategie?“
durch. Etwa 200 Interessierte verfolgten im DGB-Gewerkschaftshaus die
Diskussionen zu den Bereichen Wohnungsversorgung, Wasser, PPP und
Gesundheit. Während der Konferenz wurde ohne Gegenstimmen eine
Resolution beschlossen. Die Konferenz – aktueller denn je – ist
komplett aufgezeichnet worden und kann angehört werden unter
http://www.bmgev.de/privatisierung/konferenz-dokumentation/vortraege-
mp3/index.html

***

Individualität und Eigentum
Zur Rekonstruktion zweier Grundbegriffe der Moderne hat Christian
Schmidt jetzt seine Dissertation publiziert. Sowohl Individualität
als auch Eigentum erhielten ihren heutigen Sinn erst mit den
bürgerlichen Revolutionen. Die ökonomische Ordnung des Kapitalismus
beruht auf der als Besitz bekannten Zuordnung von Dingen zu Personen
und der strikten Trennung von Eigentum und Person. Christian Schmidt
rekonstruiert die beiden Grundbegriffe der Moderne und diskutiert
dabei Fragen der Entfremdung, des geistigen Eigentums und des
Eigentums im Sozialismus, mehr unter
http://www.terrashop.de/16156011/direktlink/bk_info.php

***

Copyright & Copyriot
Über die Kommerzialisierung digitalisierten Wissens, die
Aneignungskonflikte im informationellen Kapitalimus und zur Frage
„was ist Eigentum“, schreibt Sabine Nuss in ihrer Dissertation, jetzt
erschienen im Dampfbootverlag, siehe:
http://www.dampfboot-verlag.de/buecher/647-5.html

3. „Frisch gebloggt“
—————–

Gutes Weblog zum Thema Ungleichheit
www.esztersblog.com ist ein cooles Weblog aus dem Forschungs- und
Lehralltag einer Wissenschaftlerin in Kalifornien. So berichtet sie
z.B. von der Berkeley-Harvard-Inequality-Group und von ihren
Diskussionsveranstaltungen mit Themen wie etwa
„Informationstechnologie und Ungleichheit“.

„(Anti-)Privatisierung“
Die WASG bringt ihren Newsletter am 15.11.2006 als Extra-Ausgabe zum
Thema „(Anti-)Privatisierung“ heraus. Besonders schön: die Initiative
zum „Privatisierungs-Watching“, unter info.w-asg.de/uploads/media/
newsletter_2006-extra-2.pdf

Wer hat Geld für einen kritischen Dokumentarfilm?
Ein kritisches Dok-Film-Projekt betreibt Foundraising: http://
www.bahn-unterm-hammer.de

IfW Kiel macht jetzt auch in Öffentlichen Gütern
Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel hat jetzt ein eigenes
Forschungsprogramm aufgelegt für „Öffentliche Güter und
Wirtschaftspolitik“, unter
http://www.uni-kiel.de/ifw/prog2/prog2.htm

und ein bisschen in eigener Sache:

Domain Confusement
who-owns-the-world.org is the english frontpage of the webpage you
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who-owns-the-world.com is the promotion webpage for a new book about
worldwide landownership

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Neues Buch: Internationalisierung und Privatisierung von Krieg und Frieden

Mit verschiedenen Fallstudien (UN-Friedensmissionen, Krisenreaktionskräfte der EU und Privatisierung des Militärs in Großbritannien und USA) beschreibt der Autor schwindende menschliche Sicherheit und demokratische Kontrolle, die durch verstärkte internationale militärische Interventionen und die zunehmende Privatisierung des Militärs gekennzeichnet sind und bereits negative Auswirkungen für die Aufrechterhaltung des staatlichen Gewaltmonopols bedingen.

„Internationalisierung und Privatisierung von Krieg und Frieden“ von Herbert Wulf (BICC / DCAF-Schriften zu Sicherheitssektor und Konversion ; 11; Baden-Baden: Nomos, 2005 – 258 S.,; BN 3-8329-1375-0)

Estland kauft Bahn zurueck – Deprivatisierung ohne Folgen?

Die WOZ schreibt: 
Bevor der Verkehr ganz zusammenbricht, kauft der Staat die Bahn zurück. Aber hat er was daraus gelernt?
Auf der Hauptstädteverbindung zwischen dem estnischen Tallinn und dem lettischen Riga fahren keine Personenzüge mehr. Auf dem Trassee ist oft nur noch eine Geschwindigkeit von vierzig Stundenkilometern möglich. Auch zwischen anderen Städten reist man mit dem Bus schneller, billiger und mit besseren Verbindungen. Estlands Bahn ist heruntergewirt- schaftet, und der Grund dafür ist die Privatisierung. Schon vor Jahren hatte die Tageszeitung «Postimees» geschrieben: «Wenn das Geld den Zugverkehr bestimmt, landet er auf dem Abstellgleis.»
Estlands Privatisierungskommission hatte in den neunziger Jahren stolz verkündet, die Zerschlagung der Eisenbahn sei Teil des «radikalsten jemals gemachten Versuchs, ein staatliches Monopol zu brechen». Die baltische Sektion der Staatsbahn der ehemaligen Sowjetunion war in Häppchen aufgeteilt und an Privatfirmen aus den USA, Britannien und Estland verkauft worden. Der Güterzugverkehr und grosse Teile der Netzinfrastruktur fielen an die Gesellschaft Eesti Raudtee. Dass neben dem Zugbetrieb auch das Schienennetz aus der nationalen Verantwortung an Privatinteressen übertragen wurde, war von Anfang an kritisiert worden: Zumindest das Netz müsse unter staatlicher Kontrolle bleiben. Die BefürworterInnen der Privatisierung entgegneten, dass der Staat ja weiterhin ein Drittel der Anteile von Eesti Raudtee und damit Einfluss behalten werde.
Tatsächlich hatte aber die private Zweidritteleigentümerin Baltic Rail Services (BRS) das alleinige Sagen, eine Gesellschaft von hauptsächlich US-amerikanischen InvestorInnen. Und sie lieferte praktisch vom ersten Tag an negative Schlagzeilen. Mit Meldungen über Sicherheitsprobleme, weil das Schienennetz mit ausrangierten schweren Dieselloks aus den USA ruiniert wurde und weil die meisten der mit BRS vereinbarten Investitionen nicht getätigt wurden.
Als die Regierung in Tallinn sich das nicht länger bieten lassen wollte und mit empfindlichen Konventionalstrafen drohte, bot die BRS den Verkauf ihrer Anteile an. Erste Verhandlungen über eine Wiederverstaatlichung scheiterten im Februar an unvereinbaren Preisvorstellungen. Die BRS versuchte daraufhin den Verkauf an russische und deutsche InteressentInnen, doch ohne Erfolg. Die Gesellschaft hatte im August einen Plan für die kommenden Jahre mit einem beinahe vollständigen Investitionsstopp vorgelegt, aufgrund dessen der baldige Zusammenbruch des Bahnverkehrs vorherzusehen war. Daraufhin zog die Regierung in Tallinn die Notbremse: «Wir können nicht mehr länger herumsitzen und zusehen», sagte Wirtschaftsminister Edgar Savisaar. Vom Parlament wurde ein Nachtragshaushalt beschlossen, in dem nun über 280 Millionen Franken für eine Wiederverstaatlichung noch in diesem Jahr reserviert sind. Das ist zweieinhalb Mal so viel Geld, wie die BRS vor fünf Jahren bezahlt hatte. Für die InvestorInnen bei BRS ein glänzendes Geschäft, denn sie haben nach Einschätzung von InsiderInnen Eesti Raudtee nicht nur ausgeplündert, sondern auch als Sicherheit für günstige Bankkredite benutzt. Übrig geblieben sei eine wertlose Gesellschaft, die all ihrer Aktivposten beraubt worden sei.
Aus dem teuren Abenteuer hat man in Tallinn offenbar zumindest eines gelernt. Die Gleis- und Signalanlagen sollen auch im Falle einer neuen Privatisierung Staatseigentum bleiben. Für den Verkehrsbetrieb sucht die Regierung hingegen neue private AkteurInnen. Estnische Medien nennen neben russischen und estnischen InvestorInnen auch die Deutsche Bahn mit ihrer Güterzugfirma Railion als Kaufinteressentin. Railion ist bereits in mehreren westeuropäischen Ländern aktiv (darunter in der Schweiz) und könnte durchaus ein Interesse an einer Expansion nach Osteuropa haben. Eesti Raudtee ist vor allem wegen des russischen Transitverkehrs zu Estlands Ostseehäfen interessant. Zudem gibt es Pläne für eine Güterzugverbindung von der Ostsee zum Pazifischen Ozean und für einen Containerverkehr von Nordeuropa nach China. Die Bahnen und Häfen des Baltikums könnten dabei eine zentrale Rolle spielen.

Neue Publikation: Bolivien

„Die Plünderung ist vorbei“. Boliviens Nationalisierung der Öl- und Gasindustrie von Thomas Fritz

Am 1. Mai 2006 machte die bolivianische Regierung international Schlagzeilen. Symbolträchtig verkündete Präsident Evo Morales die Nationalisierung der Öl- und Gasindustrie. „Die Plünderung der natürlichen Ressourcen ist vorbei“, rief er auf dem Gasfeld San Alberto im Süden Boliviens. Während auf den Maiveranstaltungen im ganzen Lande dieser Akt bejubelt wurde, gab sich die internationale Gemeinschaft besorgt. Die Demokratie sei in Gefahr, die Rechtssicherheit ohnehin, und das Land könne nur verlieren, so der Tenor. Die internationale Presse wiederum sorgte sich um die steigenden Energiepreise. Ihre bange Frage: Ist die Energieversorgung noch sicher, wenn in immer mehr Lieferländern der „Ressourcennationalismus“ um sich greift?

Über die Hintergründe, die zur bolivianischen Nationalisierung führten, gab es jedoch wenig zu erfahren. Weder wurde die Vorgeschichte noch die Reichweite dieses Schritts deutlich. Auch über die Hindernisse, die sich der neuen Regierung in den Weg legen mussten, war wenig zu lesen. Mit seiner neuen Veröffentlichung möchte das Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL) dazu beitragen, diese Lücke zu schließen.

Das FDCL-Hintergrundpapier schildert sowohl die sozialen Auseinandersetzungen, die zur Nationalisierung vom 1. Mai führten, als auch die aktuellen Widerstände, mit denen sich die Regierung konfrontiert sieht. Neben Analysen des Nationalisierungsdekrets und der verschiedenen Druckmittel der Petrofirmen bietet das Papier einen kritischen Blick auf die Schattenseiten der Öl- und Gasproduktion: die zunehmende Rohstoffabhängigkeit und die Zerstörung der Lebensgrundlagen lokaler Gemeinschaften. Mit der Nationalisierung stellt sich auch in Bolivien die Frage nach einem Entwicklungsmodell „jenseits von Öl und Gas“.

Mehr und Ihaltsverzeichnis beim Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika e.V. (FDCL)

Rezension Private Kriegsdienstleister

Jean-Paul Raabe schreibt über P.W. (Peter Warren) Singers „Die Kriegs-AGs. Über den Aufstieg der privaten Militärfirmen“:

Singer erschließt erstmalig ein Thema, das wir vor Jahren noch für Fiktion gehalten hätten, das aber pure Realität geworden ist: Die geschäftlichen Aktivitäten von etwa 100 weltweit operierenden Militärfirmen (»privatized military firms« = PMF), die im lukrativ bezahlten Auftrag von Regierungen Kriege vorbereiten und durchführen, die jedes x-beliebige Kriegsgerät besorgen können, Widerstandsarmeen ausbilden, Regierungsumstürze durchführen oder abwehren und – das klingt besonders pervers – die durch ihre kriegerischen Aktivitäten zuvor zerstörten Länder wieder aufbauen.
Die privaten Militärfirmen gehören zur größten Wachstumsbranche mit derzeit über 100 Milliarden Euro Gesamtumsatz, deren Umsätze sich von Jahr zu Jahr fast verdoppeln. London ist zur Drehscheibe der PMFs geworden, die nicht selten in internationale Konzerne eingebunden und teilweise börsennotiert sind. Oder sie agieren als virtuelle Firmen, die in kurzen Zeiträumen hohe Profite erwirtschaften, sich problemlos auflösen und damit jeglicher Verantwortung entziehen können.
Der zweite Irak-Krieg war quasi das coming out der PMFs, die bisher eher im Verborgenen operierten: Niemals zuvor waren so viele private Dienstleister, niemals so viele Söldner (bis zu 25.000) in einen Krieg „verwickelt“. Aber PMFs wie Halliburton, Blackwater oder Brown & Root wurden der Öffentlichkeit erst durch die Bereicherungsvorwürfe oder die Misshandlungsfälle im »Abu-Ghraib-Gefängnis« bekannt.
Um das komplexe Thema verstehen zu können, muss man sich vor allem die finanziellen Dimensionen klar machen, um die es geht. P.W. Singer führt das sehr plastisch vor, wenn er schreibt, dass die Summe von 13 Milliarden US$, die allein »Halliburton« den USA für den zweiten Irakkrieg in Rechnung stellen wird, zweieinhalb mal höher ist, als die Kosten des Golfkrieges von 1991 insgesamt. Klar, dass diese Firmen aus Profitgründen an einer permanenten Gewaltspirale mehr als interessiert sind.
Der Autor stellt die Strukturen der Firmen vor und thematisiert die Störungen der globalen Sicherheit durch profitsüchtige und moralisch zwiespältig agierende PMFs. Er prangert aber auch die „heuchlerische Doppelzüngigkeit“ der Vereinten Nation zu diesem Thema an.
Den rund 380 Seiten seines Buches fügt Singer einen über hundertseitigen Anhang hinzu. In diesem listet er die Internetauftritte von etwa 60 PMFs, legt alle seine Quellen offen und zitiert einen sehr aufschlussreichen Vertrag zwischen dem in Londons Kings Road 535 residierenden Militärdienstleister »Sandline« und der Regierung von Papua-Neuginea (Laufzeit 3 Monate, Pauschalhonorar 36 Millionen US$ Dollar) im vollen Wortlaut.
ZWEITAUSENDEINS, FRANKFURT, 2006, 500 SEITEN, 27,90 €

Privatisierung ist Gewalt (derzeit in Mexiko)

Die aktuellen Massenproteste in Mexiko (Feature bei Indymedia) stehen direkt im Zusammenhang mit staatlich-repressiv vorangetriebener Privatisierung/Liberalisierung/Kommerzialisierung. Die andauernden Auseinandersetzungen, bei denen die Regierungstruppen bereits Menschen getötet haben, begannen, als Blumenhändler eines lokalen Marktes für ein Global-Style-Einkaufszentrum vertrieben werden sollten. Dazu Sub. Marcos:

„Vor Jahren gab es hier, auf dem Platz der Drei Kulturen, ein Massaker, und damals behauptete die Regierung, die Armee sei angegriffen worden. Und es verging viel Zeit, bis jemand fragte, was die Sicherheitskräfte eigentlich auf einer studentischen Versammlung verloren hatten. Und jetzt kommen diese Medien, auch das Radio, nicht auf den Gedanken zu fragen, was denn die Sicherheitskräfte eigentlich in San Salvador Atenco taten. Diese Allianz zwischen PRD und PRI veranlasste nämlich die Räumung einiger Blumenverkäufer, da sie dem Präsidenten des Landkreises von Texcoco hässlich für das Stadtbild erschienen; weil er lieber ein Einkaufszentrum da hätte, ein Wal-Mart dort in Texcoco, und da stören ihn die kleinen Händler, und auch die PRD, die dort mit der PRI auf Landesebene und mit der PAN auf Bundesebene verbündet ist, wird nun diesen Tod mit verantworten müssen.“ (Zitatkontext)

Kommentar der anderen: Rettet das soziale Europa

Markt schlägt Staat: eine simple Formel der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung – von Josef Weidenholzer
Die Welt ist ein einziges Einkaufszentrum geworden. Aus Durst wird weltweit Coca Cola, wie das Ivan Illich einmal ausgedrückt hat. Es werden aber nicht nur Gebrauchsgüter gehandelt. Sondern auch „öffentliche“ Güter: Also die Versorgung der Menschen mit Energie, kollektive Transportmittel, Postdienste, Telekommunikation, Radio und Fernsehen, Bildung, ja sogar soziale Dienstleistungen. Alles deutet darauf hin, dass die letzten Widerstände schwinden und sich diese Entwicklung wie eine gigantische Flutwelle über den Globus verbreitet. Die Nationalstaaten stehen dem Phänomen machtlos gegenüber, die Staatsmänner und -frauen wirken, als seien sie gelähmt.
Verlust an menschlicher Substanz
Markt schlägt Staat: Auf diese simple Formel, lässt sich die Entwicklung zu Beginn des 21. Jahrhunderts bringen. Die Menschen reagieren zwiespältig. Zunächst genießen sie ihre Stellung als Konsumenten einer bislang ungeahnten Vielfalt von Produkten. Aber viele Zeitgenossen fühlen sich nicht wohl in ihrer Haut. Sie fühlen instinktiv, dass die allgegenwärtige Ökonomisierung ihres Alltags zu einem Verlust an menschlicher Substanz und zur Aufgabe persönlicher Eigenart führt. Die Gesellschaft scheint zu Ich-AGs zu mutieren, nichts anderes als den eigenen Nutzen maximierend und das Heil im kurzfristigen Erfolg suchend. Die Mitbürger und Mitbürgerinnen sowie die Umwelt geraten so zu vernachlässigbaren Größen. Marktwirtschaft pur eben. Aber die Menschen streben nach sozialer Sicherheit, und nur eine funktionierende soziale Absicherung wird die Akzeptanz der Europäischen Union in der europäischen Bevölkerung heben.
Und das europäische Sozialmodell?
Ja, es gibt das viel zitierte europäische Sozialmodell, aber nur als Kanon gemeinsamer Werte. Zu unterschiedlich sind die einzelnen Systeme, zu unklar sind die Vorstellungen der Regierenden. Sound of Europe klingt wie ein miserabel dirigiertes Orchester, die Töne sind kakophonisch.
In der Typologie europäischer Sozialstaatlichkeit unterscheiden wir drei Idealtypen. Der residuale Wohlfahrtsstaat ist eine angelsächsische Erscheinung und verdient eigentlich nur eingeschränkt das Label Wohlfahrtsstaat, da die staatliche Sozialpolitik bloß als Ergänzung marktmäßiger, familiärer oder karitativer Aktivitäten gesehen wird. Der korporatistische Wohlfahrtsstaatstyp in Kontinentaleuropa versteht sich im Gegensatz dazu als subsidiär. Überall dort, wo der Markt, die Familie oder Gemeinschaften nicht in der Lage sind, soziale Risken abzusichern, tritt der Staat in die Verantwortung.
Nordische Sozialmodelle
Der universalistische Wohlfahrtsstaat ist das hervorstechende Merkmal der nordeuropäischen Staaten. Zielvorstellung ist ein hoher Standard hinsichtlich sozialer Sicherung zu erreichen. Merkmale dieses Typus sind neben der starken Rolle des Staates ein großes Volumen an staatlichen Transferzahlungen und die Priorität der Beschäftigungspolitik für jede Regierung. Südeuropa hat auch auf Grund der verspäteten Industrialisierung keine spezifische Sozialstaatlichkeit herausgebildet und Osteuropa ist noch immer ganz wesentlich von den Problemen des Übergangs zur Marktwirtschaft geprägt.
Vieles spricht dafür, dass Nordeuropa zum Vorbild für die künftige europäische Sozialpolitik werden könnte. Auch die EU-Bürokratie beginnt sich seit einiger Zeit der Vorzüge des nordischen Wegs bewusst zu werden.
Komplexer Zusammenhang
Entgegen neoliberaler Meinungsmache ist der Zusammenhang zwischen Wirtschaftsleistung und sozialer Sicherung ein sehr komplexer, der sich nicht durch simplifizierende Zurufe, a la „wer weniger für Soziales ausgibt, hat von vornherein eine bessere Wettbewerbsposition“, erklären lässt. So weist etwa der Index des World Economic Forum, der die Wettbewerbsfähigkeit misst, unter den Top 10 acht Staaten mit einem Anteil von über 25 Prozent Sozialausgaben am BIP aus. Spitzenreiter ist Finnland, auf den Plätzen drei, fünf und sechs folgen Schweden, Dänemark und Norwegen, Österreich nimmt den 17. Rang ein.
Kein Widerspruch
Sozialpolitik und Wirtschaftspolitik stehen eben nicht grundsätzlich im Widerspruch. Ganz im Gegenteil, wie man im Norden Europas sieht, stellt Sozialpolitik einen wichtigen Produktivfaktor dar. Ein europäische Sozialmodell, das seinen Namen verdient, garantiert Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit, es verhindert die Spaltung der Gesellschaft, indem es soziale Grundrechte sichert und es trägt dazu bei, den Europagedanken bei den Bürgerinnen und Bürgern Europas zu verfestigen. Was die Vision eines friedlichen Europas, ohne Krieg und Grenzen für das ausgehende 20. Jahrhundert bedeutete, das soll die Vision eines europäischen Sozialmodells für das beginnende 21. Jahrhundert sein. Die Volkshilfe und ihre Partner geben allen Menschen die Möglichkeit, sich dafür einzusetzen. Im Rahmen der Kampagne „Save Our Social Europe“ können die BürgerInnen Europas 7 Punkte für ein soziales Europa unterstützen, mit ihrer Unterschrift auf www.soseurope.org.

Quelle: Der Standard, 28.02.2006
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Josef Weidenholzer ist Vizepräsident des europäischen Netzwerkes „solidar“, Präsident der Volkshilfe Österreich und Sozialwissenschafter an der Universität Linz

kurz erklaert VI: Was sind eigentlich oeffentliche Gueter?

Öffentliche Güter sind Güter, Dienstleistungen und Zustände, für deren Herstellung, Verteilung und Sicherung die Gesellschaft verantwortlich ist. Der Zugang zu öffentlichen Gütern soll grundsätzlich allen Mitgliedern einer Gesellschaft, unabhängig von ihrem Einkommen, offen stehen.
Zu den öffentlichen Gütern können Güter des materiellen Grundbedarfs wie Energie und Wasser sowie soziale, kulturelle und Bildungsdienste gehören – aber auch persönliche Sicherheit, Frieden, saubere Umwelt, Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Zusammenhalt.
Was ein öffentliches Gut ist, wird nicht durch stoffliche Eigenschaften, sondern durch politische Entscheidungen bestimmt, denen gesellschaftliche Wertungen, Interessen und Kräfteverhältnisse zugrunde liegen. Im Umfang, der Qualität und der Differenzierung der öffentlichen Güter und in der Bereitschaft, diese aus den öffentlichen Haushalten zu finanzieren, kommt das herrschende Selbstverständnis einer Gesellschaft und der Grad der innergesellschaftlichen Solidarität als Gegenpol zur einzelwirtschaftlichen Konkurrenz zum Ausdruck.
Die „Öffentlichkeit“ der öffentlichen Güter erfordert es, dass der politische Prozess, in dem über sie entschieden wird, transparent und demokratisch verläuft.
Die jüngste weltweite Privatisierungs- und Liberalisierungswelle hat die öffentlichen Güter unter starken Druck gesetzt. Dies wurde zum einen durch bürokratische Strukturen und Ineffizienz bei ihrer traditionellen Bereitstellung durch staatliche Apparate und zum anderen durch das Austrocknen der öffentlichen Haushalte gefördert.
Öffentliche Unternehmen sind mittlerweile vielfach durch private Bereitstellung unter öffentlicher Aufsicht ersetzt worden. Die Regulierung privat erbrachter öffentlicher Dienstleistungen ist jedoch schwierig, kostspielig und vielfach ineffizient.
Öffentliche Güter sind im Rahmen von Nationalstaaten entwickelt worden und bilden in deren Rahmen die Grundlage des sozialen Zusammenhalts und ein wichtiges Gegengewicht zur Marktkonkurrenz.
Die neoliberale Globalisierung hat zu scharfen internationalen Polarisierungen, Konflikten und Gefährdungen großer Teile der Menschheit geführt. In der Kritik hieran und in den gesellschaftlichen Gegenbewegungen hierzu ist der Begriff der globalen öffentlichen Güter entstanden.
Aus der taz vom 19.7.2004, S. 9, Autor: JÖRG HUFFSCHMID
Das Lexikon entsteht in Kooperation mit dem wissenschaftlichen Beirat von Attac und erscheint jeden Montag.