kurz erklaert VIII: Gerechtigkeit

In der Hartz-Zeit steht Die Linke. selbstverständlich für Verteilungsgerechtigkeit auch als Grundlage von Akzeptanz, Vielfalt und Hegemonie. Hier haben sie einen starken Ruf. Dieses erste Element, so notwendig es ist und so richtig es das sozialdemokratische Anliegen aufnimmt, das von der SPD liegen gelassen worden ist, ist aber nicht ausreichend. Ein neues linkes Projekt muss den Beweis erbringen, dass es mehr ist als eine zur Partei gewordene Abwehrschlacht.

Das zweite Element ist Anerkennungsgerechtigkeit. Zum Teil handelt es sich hier um ein grün-alternatives Anliegen, das von den Grünen liegen gelassen worden ist, wenn auch nicht so vollständig wie die Verteilungsgerechtigkeit von der SPD. Anerkennungsgerechtigkeit bedeutet, die Vielzahl der Lebenslagen, Lebensmodelle und individuellen Situationen und Orientierungen als gleichberechtigte Ausdrucksformen gesellschaftlicher Normalität anzuerkennen und sie von der Unterdrückung und Ausgrenzung durch die rechtlichen, ökonomischen und Alltagspraxen der Abwertung, Diskriminierung und Ungleichheit zu befreien. Die Linke muss – allgemein formuliert – für Anerkennung als Recht auf gleiche Teilhabe an sozialer Interaktion stehen und die politische Kraft sein, die sensibel ist für jede Form von Abwertung der Menschen und dagegen Front macht.

Das dritte Element eines erweiterten und erneuerten linken Gerechtigkeits- und Gleichheitsbegriffs ist Aushandlungsgerechtigkeit. Zwischen den Individuen und sozialen Gruppen, welche die Basis eines erneuerten linken Projekts ausmachen müssen, gibt es nicht nur gleichgerichtete Interessen, sondern auch Konkurrenz – Beziehungsstrukturen, wo der eine gewinnt, was der andere verliert. Das gilt zwischen dem polnischen Wanderhandwerker in Deutschland und seinem Kollegen hiesiger Nationalität ebenso wie zwischen dem immer noch vorherrschenden Allein- oder Hauptverdiener und seiner (meist) Frau, zwischen Mehrkindfamilien und Alleinerziehenden, zwischen Flüchtlingen und von Verdrängung am Arbeitsmarkt Bedrohten, zwischen der Erhaltung eines deutschen Wohlfahrtsniveaus und den niedergehaltenen Ansprüchen des Rests der Welt. Hier gibt es oft keine glatten Lösungen, hier schafft auch »soziale Sicherung plus Beschäftigungspolitik« keine heile Welt ohne Konflikte; hier ist der Ort für lange, schwierige Aushandlungsprozesse, Übergänge und Ausgleiche, in denen die Linke eine moderierende und kreative Rolle spielen, aber keine Stellvertreterpolitik beanspruchen kann.

Hieran schließt sich das vierte notwendige Element eines erneuerten linken Gerechtigkeits- und Gleichheitsbegriffs an: Verhandlungsmacht und gesellschaftliche Verhandlungsräume, also: Selbstbestimmungsgerechtigkeit. Gerechtigkeit und Gleichheit sind nichts mehr, was der Staat, so prima er auch regiert sein möge, direkt für alle schaffen kann. Stattdessen muss er die Räume ermöglichen, in denen sie verhandelt und erstritten werden, und diejenigen solidarisch und machtpolitisch unterstützen, deren Verhandlungsmacht bislang systematisch jeweils zu gering war. Mitbestimmung, z. B., ist kein Ersatz für fehlende Vergesellschaftung; sie ist Vergesellschaftung, die ihre vollständige Einlösung findet in Strukturen der gleichberechtigten Selbstverwaltung und der Verlagerung von Entscheidungsprozessen weg von Staat und »Privatbesitzern« und hinein in die reale Gesellschaft. Damit muss eine linke Gleichheitspolitik (Engler) die Konsequenz aus der Tatsache ziehen, dass Abwertungspraktiken und -kulturen, Ungleichheit und Praxen der Ungerechtigkeit allesamt eine Beziehung und ein Gefälle der Macht oder Herrschaft konstruieren oder reproduzieren. Dies ist in aller Regel das ungenannt-verborgene einfache Geheimnis der bürgerlichen und sozialdemokratischen Rhetorik der Gerechtigkeit: sie verheimlichen und entnennen dabei die immer eingeschlossene politische Dimension von Macht und Herrschaft.

Will die Linke daher ihren Gerechtigkeitsbegriff und ihre Gerechtigkeitspolitik als ein Merkmal ihrer selbst (Trademark) schärfen, das einen bestandsfähigen, sichtbaren, klaren und daher überzeugenden Unterschied zu anderen politischen Formationen macht, dann muss sie das Kerngeschäft der Verteilungsgerechtigkeit beherrschen, die Alltagssensibilität des Kampfes gegen Abwertung reklamieren wie praktizieren und beides verbinden mit einer vitalen, offenen und risikofreudigen Machtkritik, also bereits politikmethodisch das Soziale und das Politische im machtkritischen Sinne gleichheits- und demokratiepolitisch im Sinne der Aushandlungs- und Selbstbestimmungsrechtigkeit miteinander verknüpfen. Sie muss so auch in der Substanz das Soziale als Kern der allgemeinen Würde des Menschen (Selbstbestimmung) aufgreifen.

Nach: Rainer Rilling, Christoph Spehr interner Link folgtDie Wahl 2006, die Linke und der jähe Bedarf an Gespenstern… in: Standpunkte 6/2005
sowie
diess., interner Link folgtGuten Morgen, Gespenst! Annäherungen an das jähe Erscheinen eines Parteiprojekts, in: Standpunkte 8/2005

pdf-Version dieses Textes:

P/OeG Newsletter Januar 2007

1. Bericht PRESOM
2. Freiburg Bürgerentscheid gegen Privatisierung
3. WSF Nairobi-Berichte (p/ög, U.Brand, P.Wahl)
4. zwei Fragen aus der Newsletter-Redaktion
5. Termine/Konferenzen/Ankündigungen

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1. PRESOM Athens Workshop
————————-

„Privatisation and the European Social Model
(26/27 January 2007)“

Das von der Europäischen Union im 6. Rahmenprogramm geförderte
Forschungsprojekt PRESOM (Privatisierung und das Europäische
Sozialmodell) hat mit einer Tagung in Athen sein zweites Programmjahr
gestartet. Gastgeber war die Nicos Poulantzas Gesellschaft in Athen.
Ziel des PRESOM Projektes ist es, eine wissenschaftlich gesicherten
Einschätzung der Auswirkungen von Liberalisierung und Privatisierung
auf das Europäische Sozialmodell zu erarbeiten.

Zum Auftakt gab es eine Podiumsdiskussion mit griechischen
Gewerkschaftsvertretern, auf der verschiedene Aspekte der
Privatisierungspolitik in Europa erörtert wurden. Jürgen Huffschmid,
einer der Koordinatoren des PRESOM Projektes stellte zunächst die Ziele
und Fragestellungen der Projektes vor. Anschließend gab Malcolm Sawyer
von der Business School der Universität in Leeds einen Einblick in
seine Forschung zu den finanzpolitischen Auswirkungen der
Privatisierungspolitik und argumentierte, dass die Privatisierungen
keineswegs zu einer Entlastung der öffentlichen Haushaltsschulden
führen. Im Gegenteil: gerade in langfristiger Perspektive wird die
Sicherung öffentlicher Infrastrukturen und die Versorgung mit sozialen
Dienstleistungen für die öffentlichen Haushalte teurer, wenn sie von
privaten Anbietern gekauft oder geleast werden müssen. Christoph
Hermann von der Forschungs- und Beratungstelle für betriebliche
Arbeitnehmerfragen (FORBA) in Wien stellte die ersten Überlegungen zum
Europäischen Sozialmodell vor. Problem sei es dabei vor allem, dass der
Begriff einer blackbox gleich von verschiedenen politischen Kräften
gebraucht und mit jeweils eigenen Inhalten gefüllt werde. Insbesondere
die Liberalisierungslobby in der EU gebrauchen den Begriff vor allem
als Instrument um bisher bestehende nationalstaatliche Regelungen
auszuhebeln. Die Linke habe es bisher verpasst, den Begriff des
Europäischen Sozialmodells nach eigenen Vorstellungen zu definieren.
Marica Frangakis, von der Nicos Poulantzas Gesellschaft stellte die
ersten Ergebnisse der PRESOM Forschung vor und differenzierte das
Privatisierungsgeschehen sowohl in zeitlichen Wellen als auch nach
Ländergruppen. Insbesondere unterschied sie ein skandinavisches, ein
west-, ein ost- und ein südeuropäisches Privatisierungsmuster. Karoly
Lorant, ungarischer Abgeordneter des Europaparlaments, gab einen
Überblick zum Privatisierungsgeschehen in den mittel- und
osteuropäischen Ländern. Anders als die Privatisierungsprozesse in
Westeuropa erfolgte der Ausverkauf staatlicher Beteiligungen hier nicht
schrittweise, sondern schockartig im Rahmen einer abrupten
gesellschaftlichen Transformation. Die anschließende Diskussion rankte
sich vor allem um die Gefahren und Perspektiven einer Europäisierung.
Während einerseits vor allem auf die neoliberalen Impulse der
Europäischen Union verwiesen wurden, plädierten andere dafür, die
europäische Ebene stärker als politische Arena zu begreifen und sich
entsprechend mit eigenen Vorstellungen in die Europäisierungsprozesse
einzubringen.

Auf der eigentlichen PRESOM Tagung wurde der erste Jahresbericht
diskutiert und die Ergebnise der ersten drei Arbeitsgruppen (WP 1:
Hintergrund und Geschichte der Liberalisierung und Privatisierung in
der EU; WP 2: Theoretische Ansätze zur Privatisierung; WP 3: Konzepte
des Europäischen Sozialmodells) vorgestellt. Anschließend wurden die
Arbeitspläne für 2007 abgestimmt. Im Vordergrund werden dabei
Untersuchungen in den Sektoren Finanzen, Soziale Dienste
(Gesundheitsversorgung und Rentensystem) sowie Bildung stehen. Parallel
sollen die Privatisierungseffekte in den neuen Mitgliedstaaten der EU
in Osteuropa systematisch untersucht werden. Erste Zwischenergebnisse
sollen bereits in den nächsten Monaten auf verschiedenen Konferenzen
(unter anderen auf der Alternativen EcoFin-Konferenz am 20./21. April
in Berlin) zur Diskussion gestellt werden. Die nächste größere
PRESOM-Tagung wird am 29./30. Juli in Ljubljana (Slowenien)
stattfinden.
http://www.presom.eu/

2. Freiburg: Erfolg gegen Privatisierung durch Bürgerentscheid
————————————————————–
Friedrich Hecker (p/ög-Korrespondent – Freiburg) berichtet: In
Freiburg hat am Sonntag, 12. November 2006, ein Bürgerentscheid
erfolgreich den Verkauf der städtischen Wohnungen verhindert. 41.000
Menschen, d.h. 70,5% der Stimmen, sprachen sich gegen den Verkauf aus
und nur 29,5% dafür. Anfang April hatte der grüne Oberbürgermeister
angekündtigt, die Freiburger Wohnungen zwecks Haushaltssanierung zu
verkaufen. Mögliche Käufer: „Heuschrecken“ wie z.B. Fortress oder
Cerberus, denen es nicht um sozialen Wohnungsbau, sondern nur um
größtmögliche Profite geht. Eine schwarz-grüne Koalition beschloss dann
im Juli den Verkauf. Doch zu diesem Zeitpunkt hatte schon die
Bürgerinitiative „Wohnen ist Menschenrecht“
(http://www.wohnen-ist-menschenrecht.de) genügend Unterschriften
zusammen, um einen Bürgerentscheid zu erzwingen. Im Wahlkampf
versuchten die Grünen (von Hausbesetzern zu Hausbesitzern geworden) die
Menschen in Freiburg gegeneinander auszuspielen: Schulen z.B. könnten
nur saniert werden, wenn die Wohnungen verkauft würden. Doch die
Menschen ließen sich nicht davon beirren und im Wahlkampf engagierten
sich unzählige, die erstmals in ihrem Leben politisch aktiv waren. Die
Bürgeriniative wurde dabei von Mieterbeiräten, Gewerkschaften und
Stadtteilvereinen genauso wie von lokalen Oppositionsparteien wie SPD,
Die Linke.WASG und der Linken Liste unterstützt. 30 Jahre nach
erfolgreichen Verhinderung eines Atomkraftwerkneubaus in Wyhl haben die
Freiburger erneut gezeigt, daß die Bevölkerung Politik gegen die
Herrschenden durchsetzen kann.

3. WSF Nairobi-Berichte
———————–
Die rls-Veranstaltung zum p/ög-Themenkreis hieß „Die Kommodifizierung
von Wasser: Von sozialer Krise zum Widerstand“: Der gesellschaftliche
Umgang mit Wasser hat vielfältige Auswirkungen auf ärmere Haushalte.
Der Workshops beleuchtete Wasser als umkämpftes, öffentliches Gut aus
der Perspektive des Nordens und des Südens und widmete sich der Frage
wie Wasserversorgung reorganisiert wird um die Akzeptanz durch
neoliberale Konzepte sicherzustellen. Im Zentrum standen verschiedene
Strategien des Widerstands von Aktivitäten gegen die Einführung von
Vorrauszahlungen bis hin zur Infragestellung der Rekommunalisierung des
Wasserverbrauchs.
Mehr zur rls auf dem WSF:
http://www.rosalux.de/cms/index.php?id=9929&tx_ttnews[tt_news]=703

***

Ulrich Brand berichtete in der Frankfurter Rundschau am 27.1.07:

„Die Netzwerke für eine andere Welt werden dichter“
Das Weltsozialforum 2007 in Nairobi war ein weiterer Schritt zum Aufbau
einer kritischen globalen Zivilgesellschaft. Es wurden Kampagnen für
mehr Gerechtigkeit und Demokratie verabredet.

Die New York Times schrieb vor einigen Jahren, dass sich neben den USA
eine zweite Supermacht herausbilde, nämlich eine globale
emanzipatorische Zivilgesellschaft, deren deutlichster Ausdruck das
jährliche Weltsozialforum sei. Auch wenn diese Einschätzung übertrieben
ist, zeigt sie doch: Die Legitimationskrise des herrschenden
Wirtschaftsmodells ist nicht nur auf dessen für viele Menschen
desaströse Folgen zurückzuführen, sondern auch auf den Protest von
immer mehr Menschen.
Das Weltsozialforum ist ein legitimer Gegenpol zum alljährlich
zeitgleich stattfindenden Weltwirtschaftsforum in Davos. Es ist ein
großer Erfolg, dass das WSF nunmehr zum siebten Mal stattgefunden hat
und zum ersten Mal als Gesamtforum in Afrika. Angesichts der
katastrophalen Lebensumstände vieler Menschen war die Stimmung wütender
als zuvor. Mehr als 10 000 Teilnehmende folgten dem Aufruf, am letzten
Tag 14 Kilometer durch verschiedene Slums zu gehen – für die meisten
ein schockierendes Erlebnis.
Im Zentrum vieler Veranstaltungen stand die Europäische Union und ihre
neoliberalen und militaristischen Weltordnungspolitiken. Die derzeit
verhandelten Economic Partnership Agreements zwischen der EU und vielen
afrikanischen Staaten wurden scharf als neokoloniale Politiken
kritisiert und es wird große Kampagnen von Attac und anderen dagegen
geben. Auch in vielen anderen Bereichen wurden globale Aktionstage und
Kampagnen verabredet.
Eine Diskussion bleibt zentral für die altermondialistischen (für eine
andere Welt eintretenden, Red.) Bewegungen sowie für die praktische
Gestaltung einer anderen Globalisierung. Nämlich über Protest hinaus
Alternativen zu organisieren. Insoweit wären die Bewegungen nicht nur
für die „Aufräumarbeiten“ von neoliberaler und imperialer Zerstörung
zuständig.
Eine Frage wurde häufig gestellt: Soll das Weltsozialforum ein offener
Raum bleiben, in dem sich unterschiedliche Akteure von
Friedrich-Ebert-Stiftung, Kirchen und karitativen NGOs über linke
Gewerkschaften bis hin zu radikalen Basisgruppen treffen? Hier werden
Wissen und Erfahrungen ausgetauscht, Netzwerke geknüpft, Kampagnen
geplant, sich in den je spezifischen Auseinandersetzungen gestärkt.
Insbesondere feministische Gruppen haben über das WSF ihre
transnationalen Netzwerke gestärkt.
Im Vergleich zu früheren WSF gab es in Nairobi wesentlich mehr
Strategietreffen. Da man sich dort häufiger sieht, entstehen jene
Vertrauensverhältnisse, ohne die transnationales demokratisches Handeln
nicht möglich ist.
Ein weitergehender Vorschlag lautet, einen kollektiven Akteur zu
konstituieren, der global agiert. Der senegalesische Wissenschaftler
Samir Amin schlägt die Schaffung einer Fünften Internationale vor. Ein
„neues historisches Subjekt“ sei notwendig. Dies wird scharf
kritisiert: Es sei ein Vorschlag von Intellektuellen, die angeblich
wissen, wo es langgeht. Die Vorstellung eines einheitlichen Subjekts
stehe in der Tradition der autoritären Linken.
Und dennoch trifft die Frage nach einem kollektiven Akteur ein
zentrales Problem: Wie können angesichts der Globalisierung, die
derzeit die ohnehin Stärkeren noch mehr stärkt, Eingriffe in
(welt-)gesellschaftliche Machtverhältnisse gelingen? Gegen Kriege um Öl
und „gegen den Terrorismus“, gegen die enorme Macht des Kapitals, gegen
die wirtschaftlich und ökologisch desaströsen Wirkungen des Weltmarkts,
für eine Stärkung von Demokratie und solidarischer Ökonomie?
Meine Einschätzung ist, dass Alternativen zunächst um konkrete
Konflikte herum organisiert werden. Beispielsweise haben die inzwischen
sehr gut organisierten globalen Bewegungen für Gesundheit, für
Menschenrechte, für Landreform und alternative Landwirtschaft oder für
menschenwürdiges Wohnen Erfahrungen zusammengetragen und daraus
Forderungen entwickelt, die nun in den verschiedenen Kontexten
umgesetzt werden sollen. Die Gewerkschaften unternehmen enorme
Anstrengungen internationaler Vernetzung. Viele internationale
Netzwerke wie jene gegen Wasserprivatisierung oder für das Recht auf
Wohnen haben in Nairobi afrikanische Partner gewonnen.
Entscheidend ist aber, ob und wie über diese konkreten Konflikte hinaus
es möglich wird, grundlegend in politische und ökonomische
Machtverhältnisse einzugreifen. „Eine andere Welt ist möglich!“ –
dieses Motto der altermondialistischen Bewegung verwirklicht sich durch
Bewegungen und Kampagnen, aber eben auch durch sich verändernde
Institutionen, vor allem des Staates und von Unternehmen, inklusive der
Verfügungsrechte über Eigentum.
Dann stellen sich aber weitere entscheidende Fragen: Wie können
emanzipatorische Errungenschaften gesellschaftlich abgesichert werden
und wie können Regeln eines (welt-)gesellschaftlichen Zusammenlebens
entstehen? Welche Rolle spielen hier der Staat, mit dem die meisten
Menschen heute schlechte Erfahrungen machen, und die internationale
Politik? Welchen Stellenwert haben progressive Parteien? Auf diese
Fragen entsteht heute durch Netzwerke und Kampagnen und in konkreten
Konflikten gegen die Macht von Staat und Unternehmen eine erste und
sehr dynamische Antwort.

***

Peter Wahl berichtet über „Licht und Schatten. Eine erste Bilanz des
Weltsozialforums in Nairobi“

Die Bilanz des Weltsozialforums in Nairobi fällt widersprüchlich aus.
Positiv war, dass das Forum in Afrika stattgefunden hat. Es war eine
Schwäche der früheren Sozialforen, dass die afrikanische
Zivilgesellschaft, ihre Themen und Probleme immer stark
unterrepräsentiert waren. Nairobi hat diese Lücke geschlossen. Das
Forum 2007 bot der afrikanischen Zivilgesellschaft die Gelegenheit,
sich als Teil der globalen Bewegung für Alternativen zu den
herrschenden Verhältnissen darzustellen und eine gemeinsame Identität
zu entwickeln. Viele neue Informationen, die Debatten und die
Vernetzung mit anderen haben sicher einen wertvollen Beitrag zu
Stärkung der afrikanischen Zivilgesellschaft leisten können.
Dies gilt zumindest für den anglophonen Teil des Kontinents. Denn auch
in Nairobi war die koloniale Teilung in einen anglophonen und
frankophonen Teil schmerzhaft spürbar. Die Beteiligung Westafrikas war
sehr gering. Damit reproduzierte sich mit umgekehrten Vorzeichen das,
was beim regionalen Forum 2006 in Bamako aufgetreten war.
Auch für Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den Industrieländern, die
zum ersten Mal nach Afrika kamen, brachte das Forum wichtige
Erkenntnisse. Was sie sonst nur aus abstrakten Satistiken über Armut
und Elend kannten, wurde greifbar und mit konkreter Erfahrung
aufgefüllt. Denn die Veranstaltungen, die Zeltstadt mit ihren
Infoständen, die vielen informellen Kontakte wurden von den
existentiellen Alltagsproblemen der afrikanischen Realität dominiert –
Hygiene, Wasser, Aids, Gewalt gegen Frauen, Korruption, Verschuldung,
Straßenkinder usw. Die Akteure, die diese Themen repräsentierten, waren
vorwiegend NGOs, darunter in besonders hohem Maße kirchliche Hilfswerke
sowie große, international operierende NGOs.

Verlust an Attraktivität und Ausstrahlungskraft
Über den positiven Aspekten sollten allerdings nicht die Defizite
dieses WSF übersehen werden. Das fängt mit der deutlich geringeren
Beteiligung an. Auch wenn man nicht brasilianische Verhältnisse zum
Maßstab machen will, wo in Porto Alegre übers Wochende einfach mal
100.000 Brasilianer auflaufen, so muss man zur Kenntnis nehmen, dass
selbst die Teilnahme aus den Industrieländern generell geringer war.
Das heißt: an den Reisekosten allein kann es nicht gelegen haben. Die
Attraktivität in die Bewegung hinein ist sichtlich zurückgegangen.
Auch die politische Ausstrahlung nach außen hat spürbar nachgelassen.
Die internationale Medienberichterstattung war geringer und mehr als
früher auch negativ. Das gilt auch für Deutschland. Damit ist eine der
wichtigsten Funktionen der Foren, nämlich weltweit als Gegenpol zum
Weltwirtschaftsforum in Davos wahrgenommen zu werden, deutlich
reduziert. Die poltische Botschaft, die sonst vom WSF in die Welt
gegangen war, ist schwächer geworden.
Dabei spielen sicher auch „natürliche“ Gründe mit hinein. Der Reiz des
Neuen ist nach sieben Jahren verflogen. Und wer seriös Politik macht,
kann nicht permanent das mediale Bedürfnis nach Spektakularität
bedienen. Aber dennoch ist ein Gutteil der gesunkenen Außenwirkung
hausgemacht.

Pluralität muss Produktivkraft werden
So hat die starke single issue-Orientierungauch eine Kehrseite: eine
qualifizierte Weiterentwicklung der Kritik an der Globalsierung als
systemisches Phänomen fand in Nairobi kaum statt. So wurden z.B. die
internationalen Finanzmärkte, die immerhin den Kern des neuen
Akkumulationsregimes (vulgo: Globalisierung) bilden, in gerade mal fünf
Veranstaltungen ausdrücklich thematisiert.
Auch hat sich der Verzicht auf Großveranstaltungen mit prominenten
Bewegungsintellektuellen nicht ausgezahlt. Abgesehen davon, dass es für
die Identitätsbildung einer so heterogenen Bewegung auch solcher
verbindender Elemente bedarf, ist damit ein Stück Außenwirkung verloren
gegangen.
Übrig bleibt dann nur die unverbundene Koexistenz einer Vielzahl von
single issues. Es geht dabei überhaupt nicht darum, die Pluralität und
Offenheit des Forums einzuschränken. Vielfalt ist aber nur dann eine
Stärke, wenn die unterschiedlichen Elemente in produktive Reibung
miteinander treten, wenn Verallgemeinerung, Synthese und gemeinsame
Lernprozesse möglich werden. Ein statisches Pluralismusverständnis
führt hingegen dazu, dass das Forum zumMarkt der Möglichkeitenzerfällt
– mit dem enstprechenden Risiko der Entpolitisierung.
Insofern ist das Format des WSF in Nairobi mitverantwortlich für den
Verlust an Attraktivität nach innen wie nach außen.
Einige Hilfswerke und NGOs haben diese Entwicklung befördert, weil sie
glauben, das sei „ideologiefrei“. Schützenhilfe bekommen sie dabei von
einigen Linken, die aus einem Affekt gegen „die Promis“, den sie für
basisdemokratisch halten, in die gleiche Richtung ziehen.
Hier sind Reformen notwendig. Es kommt darauf an, ein Format zu
entwickeln, das komplementär zu den single issuesVerallgemeinerung
ermöglicht, scheinbar Disparates und Konkretes bündelt und Pluralität
zu einer Produktivkraft werden lässt.

Das Gegenteil eines Fehlers ist meist wieder ein Fehler
Die Versammlung der Sozialen Bewegunghat ein explizit politisches
Selbstverständnis. Sie will – anders als das Gesamtforum – nicht nur
ein Raum sein, sondern einen transnationalen Akteur konstituieren und
Handlungsfähigkeit entwickeln. Sie ist der Kristallisationskern der
Linken innerhalb des Forums und möchte einen bewussten Gegenakzent zur
Mehrheit der NGOs bilden. Allerdings bestätigte die Versammlung in
Nairobi die alte Binsenweisheit, dass das Gegenteil eines Fehlers meist
wieder ein Fehler ist.
Zwar wurde eine Erklärung verabschiedet, in der nichts Falsches steht,
ansonsten bestand das Meeting aber hauptsächlich darin, dass Fäuste
geballt wurden, Amandla Ngawethu,Parolen vom Typus „Hoch die …Weg
mit…“gleich im Dutzend gerufen wurden und zum Teil sektiererische
Kritik am Forum im allgemeinen und „den NGOs“ im besonderen geübt
wurde. Das ist nicht die Alternative zur Entpolitisierungtendenz des
WSF.
Notwendig ist stattdessen, Räume für eine qualifizierte Kritik der
Globalsierung auf der Höhe der Zeit zu schaffen. Auch das wäre im
Format des Forums zukünftig zu berücksichtigen.

WSF und Staat
Zivilgesellschaft und soziale Bewegungen agieren außerhalb des
formellen politischen Systems. Sie versuchen an einem Problemfeld das
Meinungsklima in der Gesellschaft zu beeinflussen, ohne
parlamentarische Vertretung oder Regierungsbeteiligung anzustreben.
Auch wenn es inhaltliche und politische Übereinstimmungen zwischen
Parteien und/oder Regierungen und zumindest Teilen der
Zivilgesellschaft geben kann, folgen beide Akteurstypen in Strukturen
und Dynamik einer unterschiedlichen Logik und spielen gesellschaftlich
verschiedene Rollen. Insofern ist es weise, wenn das WSF auch weiterhin
auf eine gewisse Distanz zu Parteien und Regierungen achtet.
Das WSF 2007 zeigt aber auch, dass die Durchführung eines solchen
Großevents ohne die Unterstützung mindestens einer großen Kommune
äußerst schwierig ist. Bestimmte Schwächen in Nairobi, wie etwa das
Fehlen der angekündigten Übersetzung, sind nicht einfach ein
organisatorischer Mangel, sondern hochpolitisch. Eine globale Bewegung
muss ein Minimum an Kommunikationsgerechtigkeit garantieren. Wenn alles
in Englisch läuft, macht das nicht nur viele sprachlos, sondern
verfestigt auch noch die monokulturelle Hegemonie einer Sprache.
Solange staatliche Unterstützung für das WSF transparent ist und – wie
in Porto Alegre – nicht zu politischer Instrumentalisierung führt, kann
sie akzeptiert werden. Zumal gerade einige der einflussreichsten
Kritiker einer Kooperation mit dem Staat aus NGOs kommen, die selbst
über Staatsknete in der Größenordnung von sechststelligen
Millionenbeträgen zu verfügen pflegen. Insofern kam die Finanzierung
des WSF 2007 zwar nicht von der Kommune Nairobi oder dem Staat Kenia,
aber indirekt doch zu einem erklecklichen Teil aus staatlichen Budgets,
insbes. den Entwicklungs- und Außenministerien Skandinaviens,
Frankreichs, Großbritanniens, Deutschlands etc. oder aus staatlich
eingetriebener Kirchensteuern in den Industrieländern. Darüber sollte
man offen reden, statt mit zweierlei Maß messen.

Ein anderes WSF ist nötig
Das WSF war eine Erfolgsgeschichte. Aber: Wandel und Wechsel liebt, was
lebt. Damit die Erfolgsgeschichte ihre Fortsetzung findet, ist es an
der Zeit, dass das Projekt auf die Veränderungen der Rahmenbedingen
reagiert und sich erneuert.
Dazu gehört nicht nur das Format, sondern auch die Häufigkeit der
Treffen. Der Jahresturnus ist auf Dauer nicht durchzuhalten. Es muss
Raum und Zeit sein, für dezentrale, regionale und lokale Foren. Auch
was den Austragungsort angeht, dürfen früher einmal gefasste Beschlüsse
in Frage gestellt werden. Warum sollte ein WSF nicht auch einmal in
Europa stattfinden können, solange dies nicht zur Dauereintrichtung
wird?
Nötig wären auch Strukturen, die mehr Kontinuität und Kommunikation
zwischen den großen Meetings ermöglichen. Und last but not least
braucht es mehr Transparenz in den Entscheidungsprozessen. Zwar werden
angesichts der vielen praktischen und finanziellen Probleme
internationaler sozialer Bewegung ideale Standards von repräsentativer
und partizipativer Demokratie immer deutlich unterboten werden, aber
etwas mehr an Transparenz, Partizipation und damit Demokratie als
gegenwärtig ist durchaus möglich.

4. zwei Fragen: Venezuela und Irak
———————————-

* Wie läuft die De-Privatisierung der Telekomunikation in Venezuela?
Und vor allem warum läuft sie und wohin läuft sie? Ist das Ziel
Kommunikation für alle und zwar umsonst? Oder geht es um die
Rückeroberung der staatlichen Kontrolle über einen
sicherheitsrelevanten Bereich? Bedeutet die Verstaatlich vielleicht
sogar eine Militarisierung der venezolanischen Kommunikationsbranche?
(vgl. etwa http://www.nzz.ch/2007/01/08/al/newzzEWPEJBL5-12.html und
http://www.ftd.de/boersen_maerkte/geldanlage/150721.html)

* Was machen eigentlich die Ölquellen im Irak? Sprudeln sie einfach so
ruhig vor sich hin – jenseits von Besatzung und Bürgerkrieg? Oder hat
das doch irgendwie beides miteinander zu tun? Und wem gehören die
Quellen jetzt eigentlich – mal ganz formal gesehen? Und ganz praktisch?
Wer kassiert? Und was passiert mit den Petro-Dollars? wird ja wohl
mittlerweile in Dollar abgerechnet, oder? Sonst hätte der Einmarsch ja
gar nichts gebracht…
(vgl. Martina Doering: „Multis sichern sich Pfründe im Irak“ und Greg
Muttitt: „Überproportionaler Anteil am Gewinn“, beides Berliner Zeitung
vom 29.1.07, http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/ )

5. Termine/Konferenzen/Ankündigungen
————————————

Globale Sozial Rechte vs. Neoliberalismus
Diskussionsreihe
1. Was verspricht sich die Linke von der Forderung nach „Globalen
Sozialen Rechten“?
7. 2. 2007, 19.00, Berlin, Haus der Demokratie
http://bewegungsdiskurs.de/html/programm_2007.html#eins

***

Die DHV (Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften) in Speyer
hat ein Forum „Daseinsvorsorge im Spannungsfeld von
Liberalisierungszwang und Demographie“ angekündigt (27. bis 28. März
2007).
http://www.dhv-speyer.de/Weiterbildung/wbdbdetail.asp?id=360

Diskussionsmaterial dazu von Brangsch (Politische Bildung, rls):
„Daseinsvorsorge und Liberalisierung kommunaler Wirtschaftstätigkeit“
http://www.brangsch.de/partizipation/dasein1.htm

***

Im Mai 2007 startet die attacademie.2 mit überarbeitetem Kurskonzept.
Die attacademie ist ein Weiterbildungsprogramm für politisch Aktive aus
der globalisierungskritischen Bewegung mit zwei Schwerpunkten
(Reichtum/Eigentum und Globale soziale Rechte).
http://www.attac.de/attacademie/
Info-Flyer:
http://www.attac.de/attacademie/media/Ausschreibung-Attacademie2.pdf
Bewerbungsschluss ist der 15.04.07

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PRESOM Athens Workshop: Privatisation and the European Social Model (26/27 January 2007)

Zum Auftakt gab es eine Podiumsdiskussion mit griechischen Gewerkschaftsvertretern, auf der verschiedene Aspekte der Privatisierungspolitik in Europa erörtert wurden. Jürgen Huffschmid, einer der Koordinatoren des PRESOM Projektes stellte zunächst die Ziele und Fragestellungen der Projektes vor. Anschließend gab Malcolm Sawyer von der Business School der Universität in Leeds einen Einblick in seine Forschung zu den finanzpolitischen Auswirkungen der Privatisierungspolitik und argumentierte, dass die Privatisierungen keineswegs zu einer Entlastung der öffentlichen Haushaltsschulden führen. Im Gegenteil: gerade in langfristiger Perspektive wird die Sicherung öffentlicher Infrastrukturen und die Versorgung mit sozialen Dienstleistungen für die öffentlichen Haushalte teurer, wenn sie von privaten Anbietern gekauft oder geleast werden müssen. Christoph Hermann von der Forschungs- und Beratungstelle für betriebliche Arbeitnehmerfragen (FORBA) in Wien stellte die ersten Überlegungen zum Europäischen Sozialmodell vor. Problem sei es dabei vor allem, dass der Begriff einer blackbox gleich von verschiedenen politischen Kräften gebraucht und mit jeweils eigenen Inhalten gefüllt werde. Insbesondere die Liberalisierungslobby in der EU gebrauchen den Begriff vor allem als Instrument um bisher bestehende nationalstaatliche Regelungen auszuhebeln. Die Linke habe es bisher verpasst, den Begriff des Europäischen Sozialmodells nach eigenen Vorstellungen zu definieren. Marica Frangakis, von der Nicos Poulantzas Gesellschaft stellte die ersten Ergebnisse der PRESOM Forschung vor und differenzierte das Privatisierungsgeschehen sowohl in zeitlichen Wellen als auch nach Ländergruppen. Insbesondere unterschied sie ein skandinavisches, ein west-, ein ost- und ein südeuropäisches Privatisierungsmuster. Karoly Lorant, ungarischer Abgeordneter des Europaparlaments, gab einen Überblick zum Privatisierungsgeschehen in den mittel- und osteuropäischen Ländern. Anders als die Privatisierungsprozesse in Westeuropa erfolgte der Ausverkauf staatlicher Beteiligungen hier nicht schrittweise, sondern schockartig im Rahmen einer abrupten gesellschaftlichen Transformation. Die anschließende Diskussion rankte sich vor allem um die Gefahren und Perspektiven einer Europäisierung. Während einerseits vor allem auf die neoliberalen Impulse der Europäischen Union verwiesen wurden, plädierten andere dafür, die europäische Ebene stärker als politische Arena zu begreifen und sich entsprechend mit eigenen Vorstellungen in die Europäisierungsprozesse einzubringen.
Auf der eigentlichen PRESOM Tagung wurde der erste Jahresbericht diskutiert und die Ergebnise der ersten drei Arbeitsgruppen (WP 1: Hintergrund und Geschichte der Liberalisierung und Privatisierung in der EU; WP 2: Theoretische Ansätze zur Privatisierung; WP 3: Konzepte des Europäischen Sozialmodells) vorgestellt. Anschließend wurden die Arbeitspläne für 2007 abgestimmt. Im Vordergrund werden dabei Untersuchungen in den Sektoren Finanzen, Soziale Dienste (Gesundheitsversorgung und Rentensystem) sowie Bildung stehen. Parallel sollen die Privatisierungseffekte in den neuen Mitgliedstaaten der EU in Osteuropa systematisch untersucht werden. Erste Zwischenergebnisse sollen bereits in den nächsten Monaten auf verschiedenen Konferenzen (unter anderen auf der Alternativen EcoFin-Konferenz am 20./21. April in Berlin) zur Diskussion gestellt werden. Die nächste größere PRESOM-Tagung wird am 29./30. Juli in Ljubljana (Slowenien) stattfinden.

http://www.presom.eu/

Linksfraktion fordert Privatisierungsbericht

In dem Antrag heisst es:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. gemeinsam mit den anderen deutschen Gebietskörperschaften einen Privatisierungsbericht über die Auswirkungen der Privatisierungen seit 1995 vorzulegen;

2. bis zur Vorlage und Diskussion des Privatisierungsberichtes keine weiteren Privatisierungsschritte zu unternehmen.

3. Der Privatisierungsbericht der Bundesregierung soll für die privatisierten Bereiche darstellen:

– die Privatisierungsschritte der öffentlichen Hand;

– die Ergebnisse aller Volksabstimmungen einschließlich Bürgerbegehren und Bürgerentscheide, die zu Fragen der Privatisierung durchgeführt wurden;

– die Auswirkungen auf die öffentlichen Finanzen;

– die Auswirkungen auf politische Gestaltungsmöglichkeiten (Einfluss- möglichkeiten auf Geschäftsführung und Informationsrechte der öffentlichen Hand), Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Informationsrechte für Bürgerinnen und Bürger;

– die Entwicklung von sozialversicherungspflichtiger und sonstiger Beschäftigung, Arbeitsentgelten nach Lohngruppen, Managementgehältern und Ausbildungsplätzen;

– die Auswirkungen auf Wochenarbeitszeit, Sonntags- Feiertags- und Nachtarbeit und Schichtarbeit;

– die Entwicklung von Preisen, Gebühren und Gewinnen;

– die Entwicklung von Qualität der Leistung, Verbrauchernähe und flächendeckender Versorgung und

– die Entwicklung der Investitionen.

Dem Bericht ist ein weiterer Privatisierungsbegriff zugrunde zu legen, der neben dem Verkauf von Beteiligungen und sonstigen Vermögenswerten auch die Ausgliederung öffentlichen Vermögens in privatrechtlich organisierte Unternehmungen und die Übertragung öffentlicher Aufgaben an private Unternehmen beinhaltet.
Die Auswirkungen auf die öffentlichen Finanzen sollen umfassend untersucht werden. Den Privatisierungserlösen sind die Vermögensverluste und die zukünftigen Mehrausgaben und Einnahmeverluste gegenüberzustellen. Steuerminder- einnahmen durch internationale Transferierbarkeit von Gewinnen oder durch Steuervergünstigungen etwa bei öffentlich-privaten Partnerschaften (Public Private Partnerships) sind zu berücksichtigen. Es soll auch berücksichtigt werden, inwieweit durch Personalabbau Steuereinnahmen und Sozialbeiträge sinken. Bei der Darstellung der Entwicklung von Beschäftigung und Ausbildung ist auf die Situation von Frauen speziell einzugehen. Es ist anzugeben, inwieweit die Verschuldungsgrenze des Artikel 115 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) und der entsprechenden Bestimmungen in den Länderverfassungen nur aufgrund von Privatisierungserlösen eingehalten wurden.
Die Darstellung der Preisentwicklung in privatisierten Bereichen soll nach Geschäfts- und Privatkundensegment unterscheiden. Hierbei ist zu berücksichtigen, inwieweit die Preisentwicklung auf allgemeinen technischen Fortschritt zurückzuführen ist, der auch in öffentlich-rechtlichen Unternehmen realisiert werden kann. Als Maßstab hierfür sind internationale Vergleichsstudien heran- zuziehen. Auf die Entwicklung von Sozialtarifen ist einzugehen. Der Privatisierungsbericht soll damit deutlich über den Beteiligungsbericht des Bundes hinausgehen.

Begründung

In zahlreichen Bürger- und Volksentscheiden wurden Privatisierungen öffentlichen Eigentums abgelehnt, beispielsweise in Hamburg und in Mülheim/Ruhr. Einer Umfrage im Auftrage des Sparkassen- und Giroverbandes Hessen- Thüringen zufolge sind 82 Prozent der Hessen gegen einen Verkauf von Sparkassen.
Aktuell geplante Privatisierungen sind sehr umstritten. Gegen den Plan der Regierung Baden-Württembergs, den größten Teil der historischen Handschriftenbestände der Badischen Landesbibliothek zu verkaufen, und damit das Fürstenhaus Baden aus einer finanziellen Notlage zu retten, protestierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt und verhinderten den Verkauf bis auf weiteres.
Das Flugsicherungsgesetz, das den Verkauf von 74,9 Prozent der Anteile an der Deutschen Flugsicherung GmbH vorsieht, wurde vom Bundespräsidenten zunächst nicht unterschrieben, um verfassungsrechtliche Bedenken zu prüfen. Bestärkt wird die Kritik an der Privatisierung der Flugsicherung durch das Urteil des Landgerichts Konstanz zum Flugunglück von Überlingen, in dem die Bundesrepublik Deutschland haftbar gemacht wird, da sie ohne Staatsvertrag die Flugsicherung in deutschem Luftraum der privatrechtlich organisierten Schweizer Firma Skyguide übertragen hatte. Das Gericht stellte fest, dass die Sicherstellung des Flugverkehrs grundgesetzliche Aufgabe des Staates ist.
Umstritten ist auch der Börsengang der Deutsche Bahn AG. Kritiker befürchten einen Verkauf weit unter Wert, Personalabbau, großflächige Streckenstilllegungen, einen Rückgang der Investitionen und stark steigende Preise. Sie verweisen dabei auf die Bilanz der Bahnprivatisierung in Großbritannien.
Die Bundesregierung plant für 2007 laut Haushaltsentwurf Einnahmen aus der Veräußerung von Beteiligungen und aus der Verwertung von sonstigem Kapitalvermögen in Höhe von 9,2 Mrd. Euro. Angesichts umfangreicher geplanter Privatisierungen und ernstzunehmender Kritik ist es dringend erforderlich, eine Bilanz der Auswirkungen der bisherigen Privatisierungspolitik zu ziehen.
Privatisierungserlöse werden dazu verwendet, Einnahmeverluste an anderer Stelle auszugleichen. Laut Finanzplanung will der Bund bis 2009 so haushalten, dass die Verschuldungsgrenze nur dank Privatisierungserlöse eingehalten wird. Dies läuft dem Grundgedanken des Artikel 115 GG zuwider, die Vermögenssubstanz des Staates zu erhalten. Das Sachvermögen des Staates geht, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, seit Jahren kontinuierlich zurück. Privatisierungen führen neben den Vermögensverlusten auch zu nachhaltigen Einnahmeverlusten für die öffentliche Hand. Vor weiteren Privatisierungsschritten müssen diese Auswirkungen dringend detailliert untersucht werden. Auf eine kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. nach den Einnahmeverlusten, die mit den Einmaleinnahmen im Haushaltsplan 2007 verbunden sind, antwortete die Bundesregierung: „Im Übrigen entfallen im Rahmen von Vermögensveräußerungen des Bundes generell künftige Vermögenserträge, deren Höhe – wie etwa bei Dividenden – gegenwärtig jedoch nicht prognostiziert werden kann.“ (Bundestagsdrucksache 16/2327) Dieser Aussage ist zu entnehmen, dass die Bundesregierung eine bewusste Abwägung zwischen der kurzfristigen und langfristigen Haushaltswirkung bisher nicht vorgenommen hat. Der angemessene Umgang mit der Ungewissheit der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung ist nicht der Verzicht auf Prognose, sondern die Anwendung wissenschaftlicher Prognosemethoden unter Kenntlichmachung von Prognoseunsicherheiten. Dies soll im Privatisierungsbericht geschehen.
Die Privatisierungen von Post und Telekom waren mit hohen Arbeitsplatz- und Ausbildungsplatzverlusten verbunden. Allein die Telekom AG hat von ihrer Privatisierung bis 2005 mehr als 100 000 Stellen gestrichen. Bis 2008 sollen weitere 32 000 Stellen abgebaut werden. Vor weiteren Privatisierungen müssen die bisherigen Privatisierungsfolgen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gewissenhaft untersucht werden.
Privatisierungsmaßnahmen wurden meist mit erwarteten Effizienzgewinnen begründet. Es stellt sich die Frage, inwieweit für die Verbraucherinnen und Verbraucher, nicht nur für Großkunden, die Versorgung mit günstigen und hoch- wertigen Leistungen durch Privatisierungen zugenommen hat. Versorgungsdichte und Bürgernähe haben etwa bei der Post abgenommen. Sozialtarife wurden bei privatisierten Unternehmen teilweise zurückgenommen. Bei der Feststellung von Effizienzgewinnen darf nicht stillschweigend angenommen werden, ein öffentliches Unternehmen würde heute noch mit der Technologie arbeiten, die zum Zeitpunkt der Privatisierung aktuell war.
Privatisierung und Liberalisierung von so genannten natürlichen Monopolen, also in Wirtschaftszweigen mit sinkenden Durchschnittskosten, und in netzgebundenen Wirtschaftszweigen haben, wie von fast allen Wirtschaftstheorien vorausgesagt, zu Monopolgewinnen geführt. Vor einer Untersuchung dieser Entwicklung darf die geplante Privatisierung von Deutsche Flugsicherung GmbH, Deutsche Bahn AG und Flughafenbeteiligungen keinesfalls umgesetzt werden.
Auf der Ebene der Länder und Kommunen sind Privatisierungen eine Antwort auf Haushaltsnotlagen, die unter wesentlicher Beteiligung der Bundesregierung durch steuerpolitische Entscheidungen verursacht wurden. Da diese Entwicklung nur aus dem finanzpolitischen Zusammenhang zu beurteilen ist, muss der Privatisierungsbericht die Ebene des Bundes, der Länder und Gemeinden berücksichtigen.
Bereits 1998 forderte der Deutsche Gewerkschaftsbund einen Privatisierungsbericht von der Bundesregierung ein. Die Bundesregierung sollte dieser Aufforderung zügig nachkommen.

Konferenz: Sachzwang Privatisierung?

Strategien zur Verteidigung öffentlicher Güter in Europa

mit:
Oskar Lafontaine (Vorsitzender der Fraktion Die Linke. im Bundestag)
Sahra Wagenknecht (MdEP)
Harald Wolf (Wirtschaftssenator des Landes Berlin)
Francis Wurtz (Vorsitzender der Linksfraktion GUE/NGL im Europaparlament)
Dr. Werner Rügemer (Journalist und Buchautor)
Prof. Dr. Jörg Huffschmid (Universität Bremen)
Veronika Hannemann (Ver.di Bezirk Berlin, Fachgruppe Wasser)
Alexis Passadakis (Attac, Weed)
Benedict Ugarte Chacón (Initiative Berliner Bankenskandal)
Dr. Klaus Lederer (Vorsitzender der Linkspartei.PDS Berlin, angefragt)

Samstag, 7. Oktober 2006
im Europahaus, Unter den Linden 78, Berlin

Sachzwang Privatisierung?
Ob Wasser oder Energieversorgung, Krankenhäuser oder Verkehrsbetriebe, Post oder Bahn, Sozialwohnungen oder Schulen – es gibt kaum einen Bereich, der vom Privatisierungswahn der letzten 15 Jahre verschont geblieben ist. Dass mehr und mehr öffentliche Güter zur Ware werden, ist einerseits die Folge der neoliberalen Politik der EU-Kommission. Zum anderen sind durch Steuergeschenke an Reiche und große Unternehmen Haushaltslöcher entstanden, die durch den Verkauf des „Tafelsilbers“ wieder gefüllt werden sollen.
Was kann man gegen den Verkauf öffentlichen Eigentums und die Kommerzialisierung sozialer Leistungen tun und wie kann man die Rekommunalisierung privatisierter Betriebe vor Ort durchsetzen? Wir laden herzlich dazu ein, mit ExpertInnen aus Politik, Wissenschaft und sozialen Bewegungen über diese Fragen zu diskutieren. Ziel ist es, anhand von konkreten Beispielen (Berliner Wasserbetriebe, Berliner Sparkasse) die Hintergründe und Folgen von Privatisierungen aufzuzeigen und Strategien zur Rekommunalisierung privatisierter Betriebe zu entwickeln.

Programm:

13 – 15 Uhr:
Droht die Privatisierung von Sparkassen und welche Alternative gibt es?
mit Harald Wolf, Prof. Dr. Jörg Huffschmid, Benedict Ugarte Chacón

15 – 17 Uhr:
Lokale Proteste gegen Privatisierung und Strategien der Rekommunalisierung am Beispiel der Berliner Wasserbetriebe
mit Dr. Werner Rügemer, Alexis Passadakis, Veronika Hannemann, Dr. Klaus Lederer (angefragt)

17.30 – 19.30 Uhr
Von Frankreich lernen? Der Kampf gegen Deregulierung und Privatisierung in der EU
mit Oskar Lafontaine, Sahra Wagenknecht, Francis Wurtz

Um Anmeldung wird gebeten.

Telefon: +32-2-28-45619 (Brüssel) oder 030-227-70419 (Berlin)
mailto:Sahra.Wagenknecht@europarl.europa.eu
http://www.sahra-wagenknecht.de

Pressespiegel: Trubel in der Linken um Privatisierungspolitik

Tagesspiegel, 04.07.2006
Für PDS-Realos ist Lafontaine ein Problem. Staatsverständnis ist einer der Streitpunkte
Von Matthias Meisner
Berlin – In der PDS wächst die Sorge, dass Oskar Lafontaine in einer vereinigten Linken zu mächtig werde könnte. Mehrere prominente Landes- und Bundespolitiker verständigten sich unter der Überschrift „Abschied und Wiederkehr“ auf einen „Aufruf aus der PDS zur neuen Linkspartei“. Das Papier verzichtet zwar auf eine direkte Abrechnung mit dem Vorsitzenden der Bundestagsfraktion. In einer ganzen Reihe von Punkten gehen die Unterzeichner aber auf Abstand zu Positionen Lafontaines, die dieser vor wenigen Wochen im Gründungsmanifest für eine vereinigte Linkspartei durchgesetzt hatte. Unter dem Einfluss Lafontaines könnte die neue Linkspartei programmatisch zurückfallen, heißt es aus dem Kreis der Autoren. Streitpunkte sind unter anderem das Staatsverständnis der neuen Linken, aber auch die Haltung zu Regierungsbeteiligungen. Unterzeichner des Papiers sind unter anderem die Landesvorsitzenden aus Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt, Klaus Lederer, Thomas Nord und Matthias Höhn, daneben dem Reformflügel zuzurechnende Bundespolitiker wie Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch, Vizeparteichefin Katina Schubert und der Berliner Fraktionsvorsitzende Stefan Liebich. Für die Klausurtagung der 53 Bundestagsabgeordneten, die am Montag in Rostock-Warnemünde begann, liefert das Papier Zündstoff. Lafontaine streitet für eine Verstaatlichung von Schlüsselindustrien, kämpft kategorisch gegen den Abbau des öffentlichen Dienstes. Die Autoren des PDS-Papiers, das dem Tagesspiegel vorliegt, werben dagegen für mehr Differenzierung, stellen die Bedeutung des Kompromisses in der politischen Auseinandersetzung heraus: Es reiche heute „nicht aus, nur auf den Staat, seine Gesetze und sein Geld zu schauen“. Das Versagen der Reformpolitik erkläre sich auch „aus dem fehlenden innovativen Unterbau in der Gesellschaft, aus der alleinigen Verantwortungszuweisung an den Staat“. Der Aufruf erinnert auch an die Erfahrungen der PDS in Parlamenten und Landesregierungen, ein „großer Vorteil“, den man hart erarbeitet habe.
Schon in der jüngsten Vergangenheit hatte es mehrere kritische Wortmeldungen gegeben. Sachsen-Anhalts PDS-Chef Höhn sowie der dortige Fraktionsvorsitzende Wulf Gallert – Mitunterzeichner auch des neuen Papiers – hatten in Lafontaines Gründungsmanifest „keine tragfähige Basis“ für eine Vereinigung erkannt. Die Gefahr des inhaltlichen Scheiterns sei „sehr real“, sagte Gallert dem „Neuen Deutschland“. Thomas Falkner, früherer Leiter der Strategieabteilung in der Parteizentrale, warnte, die Preisgabe der „alten PDS“ und die „Überforderung der WASG“ würden die „große historische Chance“ der neuen Linken zerstören. Zusammen mit der brandenburgischen Fraktionschefin Kerstin Kaiser kritisierte Falkner, die Linkspartei sei derzeit „faktisch nicht beziehungsweise nur unter großen internen Störungen“ regierungsfähig.

Junge Welt 08.07.2006, Titel, Seite 1
Privat zum Sozialismus
Rainer Balcerowiak
Geht es nach dem Willen von Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch, dann wird sich die Linkspartei.PDS an einer von der WASG und anderen Gruppen geplanten bundesweiten Antiprivatisierungskampagne im Herbst nicht beteiligen. In einer jW vorliegenden Beschlußvorlage, die am Montag im Parteivorstand abgestimmt werden soll, heißt es klipp und klar: »Die Forderung ›keine Privatisierung‹ resp. ›Den Privatisierungswahn stoppen‹ ist in dieser Form nicht für eine politische Kampagne geeignet, weil zu unbestimmt und abstrakt.« Zudem kollidiere die geplante Kampagne mit den für diesen Zeitraum geplanten bundesweiten Aktionen für einen gesetzlichen Mindeslohn, die bis November durchgeführt werden sollen. Doch in dem Antrag von Bartsch wird deutlich, daß es keinesfalls um terminliche Mißhelligkeiten geht. In den zur Begründung formulierten »Thesen zum weiteren Umgang mit diesem Politikfeld« wird die bisher von der Bundespartei und auch der Bundestagsfraktion formulierte strikte Ablehnung von Privatisierungen im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge in Frage gestellt: »Privatisierungsbestrebungen von Bund, Ländern und Kommunen haben (…) auch einen Ansatzpunkt im realen Zustand der öffentlichen Haushalte, der öffentlichen Einrichtungen und öffentlichen Unternehmen.« Statt einer undifferenzierten Antiprivatisierungshaltung müsse die Partei »Positiv- und Negativkriterien« für den Verkauf öffentlichen Eigentums entwickeln.
Dem Autor dürfte die Brisanz seines Vorstoßes klar sein. In der Partei und auch aus den Reihen der WASG gab es in den letzten Wochen und Monaten massive Kritik am Verhalten von Kommunal- und Landespolitikern der Linkspartei.PDS besonders in Dresden und Berlin. In der sächsischen Landeshauptstadt stimmte eine Mehrheit ihrer Fraktion dem Komplettverkauf der städtischen Wohnungen zu. In Berlin haben mitregierende Sozialisten unter anderem einer Gesetzesnovelle zur Renditegarantie für die privatisierten Wasserbetriebe zugestimmt, in der die Kalkulationsgrundlagen für vereinbarte Preiserhöhungen zum »Geschäftsgeheimnis« erklärt und somit der Kontrolle der Abgeordneten entzogen werden. Auch das Gesetz zur Sparkassenprivatisierung kommt aus dem Haus eines Linkspartei.PDS-Senators. Diese neoliberale politische Praxis hatte unter anderem Oskar Lafontaine intern und öffentlich scharf kritisiert, und auch die gemeinsame Linksfraktion im Bundestag hat sich in Erklärungen – zuletzt auf einer Fraktionsklausur in dieser Woche – mehrheitlich gegen weitere Privatisierungen ausgesprochen. Da will Bartsch offensichtlich gegensteuern. In der Linken und in seiner Partei sei »durchaus streitig, inwieweit der Staat Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge selbst erbringen muß und inwieweit er ihre Erbringung gewährleisten muß.« Kontroversen gebe es auch in der Frage »inwieweit die Antwort auf Markt und Profitdominanz zwingend öffentlicher Dienst, administrative Regulative und öffentliches Eigentum sein müssen«. Das Parteiprogramm der Linkspartei.PDS stelle »nicht eine bestimmte Eigentumsform in den Mittelpunkt«. Denkbar sei außer öffentlichem Eigentum auch »progressive Entstaatlichung« als »notwendiger Teil einer Transformationsstrategie zum demokratischen Sozialismus«. Man darf gespannt sein, ob der Parteivorstand am Montag der Idee, mittels Privatisierungen zum Sozialismus zu kommen, mehrheitlich folgen wird.

Lnkszeitung.de, 09.07.2006
WASG plant bundesweite Kampagne gegen Privatisierung Gegen Verschleuderung öffentlichen Eigentums
Berlin (ppa). Felicitas Weck und Thomas Händel, geschäftsführende Bundesvorstandsmitglieder der WASG, haben jetzt ihre Absicht bekundet, gemeinsam mit Linkspartei, GlobalisierungskritikerInnen, Sozialverbänden und Gewerkschaften gegen die Privatisierung Front zu machen. „Mit der Verschleuderung öffentlichen Eigentums zur kurzfristigen Etatsanierung muss jetzt endlich Schluss gemacht werden“, so Weck und Händel am Sonntag. Die WASG habe bereits eine Arbeitsgruppe mit der Vorbereitung beauftragt und lädt die Linkspartei zu einem Arbeitstreffen ein, Möglichkeiten, Anforderungen und Realisierung einer Kampagne „Für eine solidarische Gesellschaft – gegen die Privatisierung öffentlichen Eigentums“ in Umsetzung der Parteitagsbeschlüsse der Linkspartei.PDS und der WASG zu bestimmen und diese Kampagne im Rahmen des Parteibildungsprozesses zu führen. Erste Beratungen sollen noch im Juli stattfinden. In einem Brief an den Parteivorstand der Linkspartei.PDS wird betont, dass der Kampf gegen Privatisierungen ein Kampf für die Schwächsten, für Demokratie, für soziale Gerechtigkeit und damit ein zentrales Markenzeichen linker Politik weltweit ist. Mit dieser Kampagne könne ferner der Parteibildungsprozess weiter politisiert und über die Mitgliedschaften beider Parteien hinaus erweitert werden.
Die WASG hatte auf ihrem Bundesparteitag im April u.a. die Kampagne „Für eine solidarische Gesellschaft – gegen die Privatisierung öffentlichen Eigentums“ beschlossen. Ähnlich beschloss die Linkspartei.PDS auf ihrem zeitgleichen Bundesparteitag in Halle/S. eine Kampagne „Privatisierungswahn stoppen – Öffentliche Daseinsvorsorge erhalten“.

Tagesspiegel, 10.07.2006
Linkspartei zankt um Privatisierung
Berlin – Zum zweiten Mal binnen weniger Tage versucht der Reformerflügel der PDS, die Partei auf mehr Realitätssinn einzuschwören. In einer Vorlage für die Sitzung des Parteivorstands an diesem Montag in Berlin schlägt Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch vor, auf eine geforderte Kampagne gegen die Privatisierung öffentlichen Eigentums zu verzichten. In dazu von ihm vorgelegten Thesen wirbt er in der Debatte für ein undogmatisches Vorgehen. In der Linken selbst sei die Haltung zur Rolle öffentlichen Eigentums „nicht unumstritten, sondern differenziert“. Bartsch schreibt: „Streitig ist durchaus, inwieweit der Staat Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge selbst erbringen muss und inwieweit er ihre Erbringung gewährleisten muss.“
Indirekt geht Bartsch mit seinem Vorstoß auch auf Distanz zum Vorsitzenden der Linksfraktion im Bundestag, Oskar Lafontaine. Schon vor der Klausur der Bundestagsfraktion vergangene Woche in Rostock hatten führende Landespolitiker Lafontaines Staatsbegriff kritisiert. Im von Lafontaine durchgesetzten Gründungsmanifest für eine vereinigte Linkspartei heißt es, die Linke wolle „Schluss machen mit einer Politik, die das öffentliche Vermögen verkauft und damit die Bevölkerung enteignet“. Statt einer „neoliberalen Privatisierung“ wolle sie eine staatliche und kommunale Verantwortung für Bildung und Gesundheit, Wasser- und Energieversorgung, für Stadtentwicklung und Wohnungen, für öffentlichen Nah- und Fernverkehr sowie für wichtige Teile der Kultur. Bartsch hingegen argumentiert, auch eine „progressive Entstaatlichung“ könne notwendiger Teil einer „Transformationsstrategie zum demokratischen Sozialismus sein“.m.m.

Junge Welt, 10.07.2006
Abgeschrieben*: WASG will bundesweite Kampagne gegen Privatisierung starten
* Wir dokumentieren in Auszügen eine Medieninformation des Bundesvorstandes der WASG vom Sonntag: Der Bundesvorstand der WASG hat nachdrücklich seine Absicht bekräftigt, eine bundesweite Kampagne gegen Privatisierung zu starten. Felicitas Weck und Thomas Händel, geschäftsführende Bundesvorstandsmitglieder der WASG unterstrichen ihre Absicht gemeinsam mit Linkspartei, Globalisierungskritikern, Sozialverbänden und Gewerkschaften gegen die Privatisierung Front zu machen. »Mit der Verschleuderung öffentlichen Eigentums zur kurzfristigen Etatsanierung muß jetzt endlich Schluß gemacht werden«, so Weck und Händel am Sonntag.
Die WASG habe bereits eine Arbeitsgruppe mit der Vorbereitung beauftragt und lädt die Linkspartei zu einem Arbeitstreffen ein, Möglichkeiten, Anforderungen und Realisierung einer Kampagne »Für eine solidarische Gesellschaft – gegen die Privatisierung öffentlichen Eigentums« in Umsetzung der Parteitagsbeschlüsse der Linkspartei.PDS und der WASG zu bestimmen und diese Kampagne im Rahmen des Parteibildungsprozesses zu führen. Erste Beratungen sollen noch im Juli stattfinden. In einem Brief an den Parteivorstand der Linkspartei.PDS wird betont, daß der Kampf gegen Privatisierungen ein Kampf für die Schwächsten, für Demokratie, für soziale Gerechtigkeit und damit ein zentrales Markenzeichen linker Politik weltweit ist. Mit dieser Kampagne könne ferner der Parteibildungsprozess weiter politisiert und über die Mitgliedschaften beider Parteien hinaus erweitert werden. (…)

Neues Deutschland, 11.07.2006, URL: http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=93383&IDC=2
Linkspartei will mit Kampagne warten
WASG drängt auf Aktion gegen Privatisierung Von Tom Strohschneider
Zwischen Wahlalternative WASG und Linkspartei gibt es Unstimmigkeiten über Termin und Ausrichtung einer Kampagne gegen Privatisierungen. Der Vorstand der Linkspartei hat gestern bei einer Gegenstimme beschlossen, eine bundesweite Kampagne gegen Privatisierungen nicht vor Abschluss der Aktivitäten für einen Mindestlohn vorzubereiten. Mit dem Start entsprechender Aktivitäten ist demnach nicht vor 2007 zu rechnen. In einer von PDS-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch eingereichten Vorlage heißt es, »zwei Kampagnen gleichzeitig lassen sich nicht führen«. Außerdem seien die Forderungen »Keine Privatisierungen« bzw. »Den Privatisierungswahn stoppen« für eine politische Kampagne »zu unbestimmt und abstrakt«, also nicht geeignet. Der Vorstand möge stattdessen weiterhin regionale Aktivitäten und kommunale Kampagnen politisch und materiell unterstützen.
Darüber hinaus war in dem Papier darauf hingewiesen worden, dass »die Haltung zur Rolle öffentlichen Eigentums« auch in der Linken »nicht unumstritten« sei, etwa mit Blick auf Rolle und Aufgaben des Staates. Die »grundsätzliche Position« der Linkspartei bleibe davon aber unberührt. Der Parteivorstand müsse jedoch praxistaugliche Kriterien weiterentwickeln, so das Papier. Nach dessen Bekanntwerden hatte sich die WASG-Spitze am Wochenende in einem Brief an den PDS-Vorstand gewandt und nochmals die Notwendigkeit einer Anti-Privatisierungs-Kampagne bekräftigt. Die WASG strebt einen Kampagnen-Start im November an. Der Bundesvorstand hatte bereits Anfang Juli eine Arbeitsgruppe gebildet, die die Aktion »Für eine solidarische Gesellschaft – gegen Privatisierung öffentlichen Eigentums« vorbereiten soll. Erste gemeinsame Beratungen, so das Angebot an die Sozialisten, könnten am 15. Juli stattfinden. Die Linkspartei-Spitze gab gestern grünes Licht für die Teilnahme an diesem Gespräch, sieht aber noch weiteren Klärungsbedarf.
In der WASG-Spitze zeigte man sich gestern irritiert – nicht zuletzt, weil es in der Vorlage Bartschs heißt, Initiativen für eine Kampagne seitens des WASG seien der Linkspartei nicht bekannt. Zum Zeitpunkt, zu dem die Beschlussvorlage des PDS-Geschäftsführers verfasst wurde, hatte die WASG-Spitze ihre Arbeitsgruppe zwar noch nicht gebildet. Jedoch hätte man dies, so die Kritik, jederzeit – etwa während der Fraktionsklausur in der letzten Woche – in Erfahrung bringen können.

Junge Welt, 11.07.2006, URL: http://www.jungewelt.de/2006/07-11/038.php
Basis watscht Bartsch ab
Jörn Boewe
Dietmar Bartsch fand es gar nicht witzig. Eigentlich hatte der Geschäftsführer der Linkspartei.PDS gehofft, der Vorstand würde am Montag seinen Antrag, eine geplante Antiprivatisierungskampagne fallenzulassen, ohne viel Aufsehen durchwinken. Aber nach den zahlreichen wütenden Protestmails und Anrufen vom Wochenende war ihm schon klar, daß das schwierig werden würde.
Die Kampagne findet doch statt, aber nicht vor 2007. Auf diese salomonische Lösung verständigte sich der Parteivorstand am Montag nachmittag. Zur Vorbereitung wird ein gemeinsamer Arbeitskreis mit der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) gebildet, an dem für die Linkspartei die Vorstandsmitglieder Sahra Wagenknecht und Harald Werner beteiligt sein werden. Auf ihrem Bundesparteitag Ende April in Halle hatte die Linkspartei beschlossen, gemeinsam mit der WASG im Herbst eine »Kampagne zum Stopp des Ausverkaufs öffentlichen Eigentums und zur Zurücknahme der unsozialen Privatisierungspolitik im Bereich der Daseinsvorsorge« zu führen. Doch die Gegenoffensive des Apparats ließ nicht lange auf sich warten. Wie jW am Sonnabend berichtete, hatte Linkspartei-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch in einem Antrag an den Parteivorstand gefordert, von dem Vorhaben Abstand zu nehmen. Vordergründig argumentierte er, man könne neben der bereits laufenden Aktion zum Thema Mindestlohn keine zweite Kampagne führen. Wenn die im November beendet sei, stünde der Parteibildungsprozeß auf der Agenda und nicht eine neue Kampagne. In den Thesen, mit denen Bartsch seinen Antrag untermauerte, wird indes deutlich, daß es um mehr geht, nämlich um eine ideologische Rechtfertigung der Privatsierungspolitik, die Linksparteifunktionäre nicht nur in den Landesregierungen von Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, sondern auch in zahlreichen Kommunen betreiben. Nahegelegt wird, daß Privatisierung ein Weg zur »Verbesserung der Finanzausstattung der Kommunen« sei. Unstrittig sei lediglich, daß die Linke Privatisierung »nicht aktiv« initiieren und vorantreiben solle. Während die Linksparteiführung das leidige Problem erstmal in einen Arbeitskreis verschoben hat, hält die Schwesterpartei WASG das Thema nach wie vor für zentral. »Mit der Verschleuderung öffentlichen Eigentums zur kurzfristigen Etatsanierung muß jetzt endlich Schluß gemacht werden«, hatten die WASG-Bundesvorstandsmitglieder Felicitas Weck und Thomas Händel in einer am Sonntag verbreiteten Erklärung gefordert. In einem Brief an den Linksparteivorstand hatte die WASG Ende letzter Woche vorgeschlagen, noch im Juli mit Arbeitstreffen zur Vorbereitung der Kampagne zu beginnen. »Privatisierung der Daseinsvorsorge greift in wesentliche demokratische Rechte ein«, bekräftigte Felicitas Weck die WASG-Position gestern gegenüber jW, »Wir können uns nicht immer stärker von Konzernen unter Druck setzen lassen.«

Gegner des Wohnungsverkaufs machen in Freiburg mobil

Freiburg In dieser Woche beginnt die Sammlung von Unterschriften gegen den vom grünen Oberbürgermeister Dieter Salomon angekündigten Verkauf des gesamten Wohnungsbestandes in Freiburg. Zehn Prozent der Wahlberechtigten müssen zustimmen, damit das Plebiszit überhaupt stattfinden kann.
Erst glaubten viele an einen Aprilscherz, doch Salomon, der einzige grüne Großstadtbürgermeister, meinte es ernst, als er am 1. des vorigen Monats bekannt gab, den kompletten Bestand von rund 9000 städtischen Wohnungen zu veräußern. Die Freiburger Stadtspitze erwartet sich davon Einnahmen von mindestens einer halben Milliarde Euro, womit sie nicht nur das Haushaltsdefizit, sondern alle Schulden in Höhe von rund 400 Millionen Euro tilgen könnte. Die Verwaltung hat ihren Plan vorige Woche den Fraktionen des Gemeinderates vorgelegt und erklärt, es gäbe keine andere Lösung, um Schulen und andere Einrichtungen sanieren zu können.

Soziale Schieflage befürchtet

Gegen den Wohnungsverkauf haben sich bislang die SPD und die linken „Unabhängigen Listen“ im Gemeinderat ausgesprochen, weil sie soziale Schieflagen und ein noch höher steigendes Mietniveau befürchten, wenn die Stadt alle wohnungspolitischen Instrumente aus der Hand gibt. Die gleich starken Fraktionen von CDU und Grünen, die die Ratsmehrheit bilden, haben sich noch nicht endgültig festgelegt, doch die Parteispitzen signalisierten bereits Unterstützung für Salomons Verkaufskurs.

Sozialverbände, der Mieterbund, die CDU-Sozialausschüsse, Teile der Freien Wähler, Kirchenvertreter, die grüne Jugend und die grüne Bundestagsabgeordnete Kerstin Andreae sind gegen den Komplettverkauf. Der Ortschaftsrat des Stadtteiles Kappel hat einstimmig gegen den Verkauf votiert, und auf der Mai-Kundgebung des DGB in Freiburg musste Salomon beim Grußwort gegen ein mächtiges Pfeifkonzert anreden.

Eine neu gegründete Initiative „Wohnen ist Menschenrecht“ will diese Woche mit der Sammlung von Unterschriften für ein Bürgerbegehren gegen den Verkauf beginnen. Ein solches Plebiszit ist nach der baden-württembergischen Gemeindeordnung möglich, wenn mindestens ein Zehntel der Wahlberechtigten zustimmt – das wären in Freiburg 14 000 Unterschriften. Beim dann folgenden Urnengang müssten mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten teilnehmen, damit das Votum Wirkung erzielt. Eine einfache Mehrheit würde dann genügen, um den Deal platzen zu lassen. Noch keines der bislang drei Bürgerbegehren erreichte in Freiburg sein Ziel, in zwei Fällen ignorierte der Gemeinderat die nicht bindende Abstimmung, weil das Quorum verfehlt wurde.

Die Initiatoren des Bürgerbegehrens sind jedoch optimistisch, die Abstimmung zu gewinnen. „Die Empörung ist gerade jetzt groß“, erklärt SPD-Kreisvorsitzender und Stadtrat Walter Krögner.

Der Gemeinderat soll nach dem Willen der Stadtspitze am 4. Juli über den Wohnungsverkauf befinden.
Heinz Siebold, in Frankfurter Rundschau, 10.Mai.2006, Seite 9

Globale Landwirtschaft und die Macht kapitalistischer Agrarindustrie

Im Ak plediert Gregor Samsa für eine Wiederentdeckung des Themas globale Agrarpolitik durch die Linke: http://www.akweb.de/ak_s/ak502/16.htm
Die Konsequenzen agrarpolitischer Beschlüsse durch die WTO und anderer, gleichfalls auf Liberalisierung, Privatisierung und Deregulierung abzielender Vertragswerke betreffen unmittelbar Hunderte Millionen Menschen, womöglich mehr.

Jenseits der roten Linie. In Dresden haben Linkspartei-Politiker fuer die Privatisierung von oeffentlichem Wohneigentum gestimmt. Aus Finanznot.

Oskar Lafontaine will sie deshalb aus der Partei werfen. Jetzt haben sie ihn in einem geharnischten offenen Brief geantwortet

Es ist ein Konflikt, in dem es um viel geht – das Selbstverständnis der Linkspartei zwischen Realpolitik und Opposition. In Dresden haben neun Linkspartei-Stadträte kürzlich dem Verkauf der kommunalen Wohungsbaugesellschaft Woba an einen US-Investor zugestimmt. Dresden, zuvor hoch verschuldet, ist nach dem Verkauf schuldenfrei – allerdings auch frei von kommunalem Wohnungseigentum.
Oskar Lafontaine, Chef der Bundestagsfraktion der Linkspartei, hatte die Dresdner neun aufgefordert, die Partei zu verlassen. Die Partei dürfe bei der Privatisierung von öffentlicher Daseinsvorsorge nicht mitmachen. Dies sei für Linke die rote Linie.
Nun wehren sich die Dresdner Christine Ostrowski und Ronald Weckesser mit einem geharnischten offenen Brief. Sie votieren für „linke Realpolitik und gegen ideologische Symbolpolitik“. Den US-Investor habe man auf „langjährigen Kündigungsschutz und Mietpreisbegrenzungen“ festgelegt. In Dresden gebe es „erheblichen Wohnungsleerstand“, was die Privatisierung unproblematisch mache. Außerdem sei die „Konsolidierung der öffentlichen Finanzen keine neoliberale Spinnerei, sondern sozialpolitischer Imperativ“. Ganztagsschulen müssten auch bezahlt werden.
Der Brief ist ein Frontalangriff auf Lafontaines keynesianistische Grundthese, dass mehr Staat und mehr öffentliche Investitionen der Königsweg seien. Lafontaine, schreiben Ostrowski und Weckesser, „erweckt den Eindruck, dass öffentliches Eigentum unverzichtbar für die öffentliche Daseinsvorsorge ist. Wenn aber Wohnen so existenziell ist, dass es nicht privatisiert werden darf, bleibt zu fragen, ob die Verstaatlichung von Bäckereien auf die linke Agenda gehört, ist doch das tägliche Brot mindestens so unentbehrlich.“
Der Woba-Verkauf war nicht nur in der Linkspartei scharf angegriffen worden. Auch Mietervereine bezweifeln, dass sich der US-Investor langfristig an die Abmachungen hält.
Gegen die neun sind inzwischen Ausschlussanträge eingereicht worden. Der Dresdner Bundestagsabgeordnete Michael Leutert sagte zur taz, sie hätten gegen den Willen der Partei den Verkauf betrieben, ohne über Alternativen wie Teilverkauf oder die Bildung von Mietergenossenschaften nachzudenken. Er ist prinzipiell gegen Ausschlüsse: „Gesinnungspolizei hatten wir früher.“ Wahrscheinlicher als Ausschlüsse scheint eine Spaltung der Linksfraktion im Stadtrat, weil sich die Gegner des Verkaufs überfahren fühlen.
Der Linkspartei-Fraktionschef im Sächsischen Landtag, Peter Porsch, lobte den Brief als Versuch, auf die „argumentative Ebene“ zurückzukehren. Wie viel kommunales Eigentum nötig sei, sagte er der taz, „ist kein Problem der PDS, sondern der Gesellschaft“. Mit „dogmatischen roten Linien“ löse man es nicht.
Die Dresdner Bundestagsabgeordnete Katja Kipping meinte indes zur taz, dass das Ja zum Woba-Verkauf „zu einem Dammbruch“ führe. Der Widerstand gegen Privatisierung von Wohnungen sei schwieriger geworden – weil doch sogar Linke in Dresden dafür waren.
Quelle: taz, 18.3.2006

Das Privatisierte wird politisch

In Berlin gründete sich ein Bündnis gegen Privatisierung. Die taz berichtete:

Eine neues Bündnis will die umstrittene Privatisierung öffentlicher Betriebe bekämpfen. Vor allem im anstehenden Wahlkampf will sich der parteiübergreifende Zusammenschluss bemerkbar machen – wenn er denn so lange hält.
Die Linke kann sich nicht nur spalten. Am Freitagabend trafen sich im Abgeordnetenhaus ein bunter Haufen, um das „Bürgerbündnis gegen Privatisierung“ zu gründen. Mitglieder von WASG, der Linkspartei, der Sozilistischen Alternative (SAV), der DKP waren genauso gekommen wie parteilose GewerkschafterInnen, Globalisierungskritiker von Attac und einige „interessierte Bürger ohne politischen Zusammenhang“. Den Raum für die mehr als 50 AktivistInnen hatte der Donnerstagskreis der SPD organisiert, in dem sich die letzten linken Berliner SozialdemokratInnen versammeln.
Den gemeinsamen Konsens formulierte Joachim Oellerich von der Berliner MieterInnengemeinschaft, die zu dem Treffen eingeladen hatte. „Wir wenden uns gegen jegliche Privatisierung, egal ob sie in knallhart neoliberaler Manier oder auf scheinbar sozialverträgliche Art und Weise vollzogen wird.“ Das Repertoire potenzieller Aktionen ist groß, wie sich beim Brainstorming der Anwesenden zeigte. Während einige mit Informationsveranstaltungen die von Privatisierung betroffenen Beschäftigten ansprechen wollen, überlegten andere schon, die Zentrale der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) zu besetzen. Das landeseigene Unternehmen hat 1,2 Milliarden Euro Schulden und will daher die Hälfte seiner Wohnungen verkaufen.

Reden über Rückkauf
Eine weiterer geplanter Themenschwerpunkt soll die 1999 erfolgte Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe sein. Attac will bei einer Veranstaltung am 28. April über einen Rückkauf durch das Land diskutieren lassen. Andere Bündnismitglieder wollen gegen die Privatisierung im Nahverkehr, im Bildungsbereich und im Gesundheitswesen aktiv werden. Mit seinen Aktionen will sich das Antiprivatisierungsbündnis im anstehenden Berliner Wahlkampf bemerkbar machen.
Wird also demnächst die von manchen erträumte linke Einheitsfront zumindest außerparlamentarisch Wirklichkeit? Zweifel bleiben. Viele der Anwesenden haben schon lange Bündniserfahrung und organisierten Zusammenschlüsse gegen den Bankenskandal oder den Abriss des Palastes der Republik. Doch meist sprang der Funke nicht auf die breite Masse über. Jüngere Menschen fehlten bei dem Treffen am Freitag fast ganz.
Auch inhaltlich blieben viele Fragen offen. Ein ehemaliges Mitglied der Postgewerkschaft betonte, dass es nicht reiche, nur die Rücknahme der Privatisierung zu fordern. Man müsse dann etwa im Postsektor auch fragen, was mit den Arbeitsplätzen der privaten PIN-AG geschehe, die viele Aufgaben der Post übernommen hat. Eine Gewerkschafterin machte darauf aufmerksam, dass einige einst im öffentlichen Dienst Beschäftigte nach der Privatisierung bessere Arbeitsverträge als vorher hätten und daher an ihrem jetzigen Status gar nichts ändern wollten.
Eine anderen möglichen Kritikpunkt an dem neuen Bündnis nahm Oellerich vorweg. Beim Widerstand gegen die Privatisierung gehe es keineswegs um die Rückkehr zu den alten Zeiten des Berliner Filzes. Stattdessen forderte der Mietervertreter eine Rekommunalisierung mit demokratischer Mitbestimmung.
Auch die Präsenz der verschiedenen linken Parteien könnte für das neue Bündnis zum Problem werden. Zwar betonten deren VertreterInnen, dass man den Parteienstreit nicht ins Bündnis tragen wolle. Ob sich das in der Praxis durchhalten lässt, muss sich erst zeigen. Schon beim Gründungstreffen konnte sich die mit Michael Prütz prominent vertretene Delegation der WASG einige Sticheleien in Richtung der Senatsparteien nicht verkneifen.
PETER NOWAK
taz Berlin, 6.3.2006
Dazu der Kommentar von Felix Lee:

Ein Bündnis trifft den Nerv der Zeit.
Hurra, wieder einmal hat Berlin ein linkes Bündnis mehr. Gegen den Verkauf öffentlicher Infrastruktur wendet sich die nun gegründete Initiative und nennt sich „Bürgerbündnis gegen Privatisierung“. Allein der dröge Name wird schon dafür sorgen, dass sich diesem Zusammenschluss nicht die Massen anschließen werden. Doch wäre es ein Fehler, diese Initiative als Marginalie abzutun. Zu groß ist die Empörung über die Politik des rot-roten Senats. Dieses Bündnis trifft den Nerv der Zeit.
Bereits seit Jahren ist die Berliner Privatisierungslobby parteiübergreifend eifrig dabei, Betriebe der öffentlichen Daseinsfürsorge zu verscherbeln. Das häufig getreu dem Motto: Der Profit wird privatisiert, die Schulden sozialisiert.
Spätestens beim Verkauf der Wohnungsbaugesellschaft GSW ist deutlich geworden, dass die Leistungen keineswegs preiswerter geworden sind, wie immer behauptet wurde. Im Gegenteil: Sorgten die gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften einst dafür, dass die Mieten stabil blieben, sind sie nun, in privater Hand, selbst zum aggressiven Preistreiber geworden.
Dass jetzt ein Bündnis entstanden ist, dass sich für die Rückführung ehemals öffentlicher Betriebe einsetzt, zeigt: In der Privatisierungspolitik hat ausgerechnet die linkeste aller linken Regierungskonstellationen versagt. Nur deswegen hat der fundamentaloppositionelle und PDS-feindliche Teil der WASG einen so starken Zulauf.
Es mutet vielleicht seltsam an, dass mit VertreterInnen der Sozialdemokraten und der Linkspartei.PDS auch solche Kräfte im Bündnis sitzen, deren Parteispitzen den Ausverkauf der öffentlichen Betriebe zu verantworten haben. Dass sie dabei sind zeigt: Der Unmut hat selbst die eigenen Reihen erreicht.
taz Berlin, 6.3.2006

Linkspartei geht in die Opposition

Abgeordnetenhaus absurd: Laut Ex-PDS tragen alle Parteien Schuld an der Krise der Wohnungsbaugesellschaft Mitte. Die SPD kann sich nicht auf die Zahl landeseigener Wohnungen einigen. Und die Opposition vermisst die Regierung

Mit Dialektik lässt sich vieles belegen. Auch Dinge, die auf den ersten Blick nicht zusammengehören. Davon machte gestern in der aktuellen Stunde des Abgeordnetenhaus nicht nur die Linkspartei Gebrauch. Aber sie tat es am wagemutigsten. In der Debatte über die Zukunft der hoch verschuldeten Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) warfen sich die Parteien gegenseitig Versagen bei der Sanierung des landeseigenen Unternehmens vor. Das ist nicht weiter erstaunlich. Aber der wohnungsbaupolitische Sprecher der mitregierenden Linken, Michail Nelken, schaffte es, der Opposition Versagen vorzuwerfen. Und das ging folgendermaßen.
„Die Sanierung der kommunalen Wohnungswirtschaft ist nach wie vor eine ungelöste Aufgabe“, rief Nelken in die Abgeordnetenreihen. Eine „planlose und verantwortungslose Politik des Eigners“ habe die Landesunternehmen in teilweise desolate Lagen getrieben. Nach vier Jahren Senatsbeteiligung der Ex-PDS regte sich bei seiner Fraktion folgerichtig keine Hand zum Applaus.
Doch dass die mit 1,2 Milliarden Euro verschuldete WBM vor der Insolvenz stehe und nun bis zu 15.200 Wohnungen verkauft werden, daran trage ja nicht nur der rot-rote Senat Schuld. „Die Opposition schwächelt“, urteilte Nelken. Seine einleuchtende Begründung: Spätestens seit dem Verkauf des landeseigenen Wohnungsunternehmens GSW im Jahr 2004 hätten CDU, FDP und Grüne genug Gründe gehabt, den Senat anzugreifen. Wenn die Regierung schlechte Politik macht, sollte das wohl heißen, hat die Opposition was falsch gemacht.
Das ist besonders erstaunlich, wenn man bedenkt, dass sich die LinksparteilerInnen noch am Mittwoch als Hüter des kommunalen Wohnungsbaubestandes geriert hatten. Ein weiterer Ausverkauf der noch 275.000 Wohnungen sei mit ihnen nicht zu machen, hatte die Linke-Fraktion einstimmig beschlossen. Und damit auch nicht der massive Verkauf von WBM-Wohnungen noch in diesem Jahr, wie er von Senat und Aufsichtsrat geplant ist. Stattdessen müsse ein neues Sanierungskonzept auf den Tisch, eine Alternative zum bisherigen Vorhaben, durch Verkäufe Schulden abzubauen.
Das Debatten-Niveau stieg nur langsam. Für den Koalitionspartner SPD forderte Fraktionschef Christian Gaebler 280.000 Wohnungen in Landeshand. Wenig später rechnete sein Parteifreund, der wohnungspolitische Sprecher Bernd Schimmler, vor, dass Berlin schon heute unter dieser Marke liege – bei 277.000 Wohnungen. Mit denen ließe sich, wie auch von der Linkspartei gefordert, der Mietmarkt der Stadt beeinflussen. Das unterbot Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer. 250.000 Wohnungen könnten aus Sicht der SPD-Politikerin auf lange Sicht in Landeshand bleiben.
Die Opposition – zumindest die nicht regierende – zeigte sich verwirrt: „Was will diese Koalition?“, fragte Alexander Kaczmarek (CDU). Seit Jahren verkaufe der rot-rote Senat Wohnungsbestände, doch ohne Nutzen für die noch heute auf rund 8 Milliarden Euro Schulden sitzenden Unternehmen. Die WBM-Krise sei da nur die „Spitze des Eisberges“ und spätestens seit dem Jahr 2003 bekannt.
Für die Grünen warf Haushaltsexperte Oliver Schruoffeneger dem Senat deshalb „Verlogenheit“ vor und urteilte: „Sie haben zwei weitere Jahre verschenkt.“ Die Grünen forderten die Zusammenlegung der sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen und eine gleichmäßige Verteilung der Immobilien über die zwölf Bezirke.
Aus FDP-Sicht könnte sich die hitzige WBM-Debatte bald von selbst erledigen. Spätestens mit dem Auslaufen komplizierter Leasing-Verträge in wenigen Jahren, sagte Christoph Meyer, „fliegt wieder alles in die Luft“.
MATTHIAS LOHRE // taz Berlin lokal vom 17.2.2006

Neues Deutschland: Lafontaine mahnt Kommunalpolitiker der Linken –

Berlin (ots) – Der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Oskar Lafontaine, hat Kommunalpolitiker der Linkspartei gemahnt, sich gegen eine weitere Privatisierung öffentlichen Eigentums zu stellen. »Wer neoliberalen Politikinhalten anhängt, ich will das ja respektieren, ist besser in einer anderen Partei als in der neuen Linken aufgehoben«, sagte Lafontaine der Tageszeitung »Neues Deutschland« (Montagausgabe). Die Linke habe »nur eine Berechtigung im Parteienspektrum der Bundesrepublik, wenn sie sich dem Neoliberalismus widersetzt«. Es gebe sowohl eine Verpflichtung gegenüber den Wählern als auch gegenüber der eigenen Partei. Diese dürfe man »nicht kalt lächelnd zur Seite schieben, wie es einige selbstherrliche Mandatsträger tun«. Selbst einige Politiker in Union und SPD würden inzwischen ein »Ende des Privatisierungswahns«
fordern. Zwischen dem Vorsitzenden der Bundestagsfraktion der Linken und Stadträten der Linkspartei in Dresden war es kürzlich zu einem Konflikt über den geplanten Verkauf der Dresdner Wohnungsbaugesellschaft Woba gekommen. Lafontaine sieht in solcher Privatisierung eine »verderbliche Entwicklung«, wie er im ND-Interview sagte. Er möchte »keine Gemeindeparlamente haben, in denen die Abgeordneten nur noch Daumenlutschen können, weil sie nichts mehr zu entscheiden haben, weder über Mieten, Gas und Wasser, noch über die Friedhofs- und Parkgebühren. Markt und Gesellschaft können nur funktionieren, wenn es einen starken öffentlichen Sektor gibt.«
Quelle: Neues Deutschlan, 12.02.2006 >>> http://www.presseportal.de/story.htx?nr=784899&firmaid=59019

F: Es darf keinerlei Privatisierungen öffentlichen Eigentums mehr geben, und was es an Fehlentwicklungen gegeben hat, muß korrigiert werden.« So faßte Ihr Amtskollege Ulrich Maurer den Konsens der linken Bundestagsfraktion nach deren Klausurtagung letzte Woche zusammen. Gab es auch Gegenstimmen?
Dem haben in der Fraktion alle zugestimmt, es gab niemanden, der anderes vertreten hat. Im übrigen steht dasselbe bereits in den Kommunalpolitischen Grundsätzen, die wir im Dezember auf dem Bundesparteitag in Dresden verabschiedet haben. Wir haben diese Leitsätze für notwendig gehalten, um unseren Entscheidungsträgern in den Kommunen eine klare Orientierung zu geben und so zu vermeiden, daß jeder vor Ort nur nach eigenem Dafürhalten entscheidet und damit der Eindruck von Beliebigkeit entsteht. Es kann nicht angehen, daß jeder Kommunalpolitiker in seinem Bereich macht, was er für richtig hält – da gehen die programmatischen Grundsätze einer Partei verloren. Es gibt natürlich noch eine Debatte ums Detail: Ob die Ablehnung des Verkaufs zum Beispiel von städtischem Wohneigentum bedeutet, daß rein gar nichts verkauft werden darf, oder ob es lediglich um die Bewahrung eines Kernbereichs von Wohnungen geht, worüber dann der Mietspiegel beeinflußt werden kann. In diesem Fall könnte eine Kommune einzelne Grundstücke oder isolierte Immobilien veräußern, ohne daß die Allgemeinheit einen Schaden hätte.
F: Auch in dieser Variante wäre das eine zumindest indirekte Kritik am Verkauf von Landeswohnungen, den der SPD-PDS-Senat in Berlin in großem Stil durchgeführt hat. Wie haben sich denn die auf der Klausurtagung anwesenden Berliner Senatoren dazu gestellt?
Durchaus selbstkritisch, so jedenfalls mein Eindruck. Sie sind natürlich in einer Zwickmühle, weil sie vom Bund zur Konsolidierung des Landeshaushaltes verpflichtet sind. Ansonsten hat Berlin keine Chance, mit seiner Klage vor dem Bundesverfassungsgericht auf zusätzliche Bundeszuschüsse. Aber die Bundestagsfraktion hat ungeachtet dieser schwierigen Rahmenbedingungen für eine eindeutige Ablehnung der Privatisierung votiert. Leider hielten sich unsere Berliner Senatoren an diesem Punkt etwas zurück. Oskar Lafontaine wies dann darauf hin, daß, wenn man öffentliches Eigentum aus Kostengründen veräußert und private Investoren einsteigen, die ja auch diese Objekte profitabel bewirtschaften wollen. Wenn die das können, warum sollte es die öffentliche Hand nicht können?
F: Zu einem anderen Thema. Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen hat gefordert, den Eltern die Kita-Gebühren zu erlassen. Der Vorschlag könnte von der Linkspartei kommen, oder?
Völlig richtig, und er kam sogar schon mehrfach von uns. Es ist ja wirklich unsinnig und ungerecht, wenn der Besuch von Schulen und Universitäten keine Gebühren kostet, aber die Eltern beim Kita-Besuch zur Kasse gebeten werden. Das Problem beim Vorschlag der Familienministerin ist, daß sie damit den Kommunen neue Lasten aufbürdet – Kommunen, die ohnedies durch die Umsetzung von Hartz IV an der Grenze ihrer finanziellen Belastbarkeit stehen. Seriös wäre der Vorstoß nur zu nennen, wenn die Bundesregierung selbst den Wegfall der Kita-Gebühren gegenfinanzieren würde. Darauf wollen wir im Bundestag mittels einer aktuellen Anfrage drängen.
F: Warum macht die Linkspartei nicht selbst Vorschläge zur Finanzierung?
Normalerweise wird der Linken vorgeworfen, sie habe für ihre wirtschafts- und sozialpolitischen Vorstellungen keine solide Gegenfinanzierung. Jetzt wollen wir den Spieß einmal umdrehen und von der Ministerin wissen, wie sie sich die Realisierung ihrer Idee gedacht hat. Es geht ja immerhin, so eine Berechnung des Städte- und Gemeindetages zu den Kitagebühren, um eine Summe von 13 Milliarden Euro pro Jahr. Das ist kein Pappenstiel. Darüber hinaus hat die Linkspartei selbstverständlich auch einige Gegenfinanzierungsideen, wie etwa den Verkauf von Goldreserven der Bundesbank zu diesem guten Zweck oder höhere Steuern für Unternehmen. Aber zunächst ist die Bundesregierung am Zug.
Das Interview führte Jürgen Elsässer
* Dagmar Enkelmann ist parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion »Die Linke«
Quelle: http://www.jungewelt.de/2006/01-18/025.php