Eine Rezension – von Elisabeth Voß
Nachdem Daniel Fuhrhop mit „Verbietet das Bauen“ ein leidenschaftliches Statement gegen die profitgesteuerte Neubauwut verfasst hat (1), möchte er seine Vorschläge für einen anderen Umgang mit der Wohnungsfrage nun auch auf die Schaffung von Wohnraum für Flüchtlinge anwenden. „Willkommensstadt“ ist ein gut gemeinter und in wohlwollendem Ton abgefasster Versuch, gleichzeitig Argumente gegen den Neubau von Wohnungen und für die Schaffung von Platz für Geflüchtete vorzulegen. Im Wesentlichen plädiert der Autor dafür, dass „wir“ zusammenrücken, Leerstand und individuelle Wohnflächen einschränken, damit ausreichend Wohnraum für alle entsteht.
Dieses irritierende „wir“ zieht sich durch das ganze Buch, und es wird an keiner Stelle deutlich, wer damit gemeint ist und für wen Fuhrhop spricht. Seine Anregungen verpuffen, wenn beim „wir müssen“ unklar bleibt, an wen dies adressiert ist und wer diese Vorschläge umsetzen sollte. Im Zusammenhang mit dem Flüchtlingsthema ist dieses permanent angerufene „wir“ nicht nur schlechter Stil, sondern macht Gräben auf zwischen denen, die schon hier sind – „wir“, die Einheimischen, die Deutschen, die Volksgemeinschaft? – und den anderen, denen die nicht „wir“ sind, sondern „die“, die anderen, die Flüchtlinge.
Dabei ist es ein Verdienst von Daniel Fuhrhop, das Thema Wohnraum für Flüchtlinge zum Anlass zu nehmen, die Frage des Wohnens von Grund auf zu reflektieren und zu diskutieren, statt nach separaten – und möglicherweise auch separierenden – Lösungen für Wohnungen ausschließlich für Geflüchtete zu suchen. Jedoch konterkariert er sein Anliegen durch das ständige „wir“, das seine trennende Wirkung im Kopf der LeserInnen entfaltet, unabhängig davon, ob dies vom Autor beabsichtigt ist oder nicht.
Fuhrhop ist sich sicher, dass der Neubau von Wohnungen überflüssig ist, denn der Mangel an Wohnraum für Flüchtlinge ließe sich im Bestand beheben, „wenn man es richtig anpackt“ (Seite 72ff), und bestehenden Leerstand von Büros und Wohnungen beseitigen würde. Zusätzlich könne Wohnraum geschaffen werden, wenn alle BundesbürgerInnen die von ihnen bewohnte Fläche um zehn Prozent reduzieren würden. Wer in einer großen Wohnung lebt, könne Zimmer an Flüchtlinge vermieten, in Einfamilienhäusern ließen sich Einliegerwohnungen einrichten.
Seine Vorschläge unterfüttert er mit statistischen Zahlen zum jeweiligen Wohnraumpotenzial, sowie mit Berechnungen des Empirica-Instituts, wonach allein die derzeit bundesweit leerstehenden über 1,5 Millionen Wohnungen ausreichen würden, um alle Flüchtlinge unterzubringen (Seite 160/161). Nun wäre es fatal, wenn es keine freien Wohnungen mehr gäbe, denn sie stellen sicher, dass Menschen überhaupt noch umziehen können und nicht in ihren (möglicherweise viel zu großen) Wohnungen gefangen bleiben. Mit Zahlen von 2014 zeigt der Autor, dass der Leerstand, der im bundesdeutschen Durchschnitt 4,4 Prozent beträgt, nur in den ostdeutschen Bundesländern über 5 Prozent liegt, in Berlin jedoch beispielsweise bei 3,5 Prozent (Seite 22). Während Fuhrhop grundsätzlich auf seiner Ablehnung jeglichen Neubaus beharrt, forderte kürzlich zum Beispiel der Berliner Flüchtlingsrat, dass allein in der Bundeshauptstadt pro Jahr 50.000 neue, bezahlbare Wohnungen errichtet werden sollten (2).
In den Ausführungen des Autors lese ich eine gewisse Anmaßung, die Wohnungsnot Geflüchteter für die Verbreitung seiner stadtplanerischen Vorstellungen zu benutzten. So beruft er sich zustimmend auf einen Vorschlag des Empirica-Instituts, Flüchtlinge „die vermutlich auf Dauer bleiben“ vorrangig in kleine Orte mit freiem Wohnraum und fehlenden Arbeitskräften zuzuweisen, „während in Großstädten ein schnellerer Wechsel zu erwarten wäre.“ (Seite 170). Die Vorstellung, schrumpfende Regionen durch den Zuzug von Flüchtlingen wiederzubeleben, ist durchaus diskussionswürdig. Jedoch sollte es selbstverständlich sein, dass dies freiwillig geschieht, und dass nicht die Einen utilitaristisch über die Anderen verfügen. Stadtplanerisch begründetes Verwaltungshandeln, das mit solchen Wohnortzuweisungen asylrechtliche Entscheidungen vorweg nähme, begäbe sich in bedenkliche Nähe zu einer Politik, die Menschen ungeachtet jeglicher menschenrechtlicher Standards in angeblich sichere Herkunftsländer wie Afghanistan abschiebt, und damit das Grundrecht auf Überprüfung des Einzelfalls missachtet.
In freundlichem Ton schreibt Fuhrhop darüber, wie mit geflüchteten Menschen verfahren werden sollte – offensichtlich ohne auch nur einmal auf die Idee zu kommen, dass vielleicht diejenigen, um die es geht, auch eigene Wünsche haben, dass sie gefragt werden könnten, wie und wo sie leben möchten, statt verplant zu werden. Stattdessen verlangt er: „Sie müssen bleiben!“ (Seite 166) – an dem Ort ihrer Wohnsitzauflage (die der Autor auf Seite 167 irrtümlich mit der schikanösen Residenzpflicht gleichsetzt), damit sie sich orientieren und heimisch werden können.
In politisch fragwürdige Nachbarschaft begibt sich Daniel Fuhrhop, wenn er in seiner Danksagung am Ende des Buches unter anderen ausdrücklich Heinz Buschkowsky und Kirsten Heisig bedenkt. Direkt bezieht er sich nur an einer Stelle im Buch auf sie: „Beide nennen die Probleme der Migranten der zweiten und dritten Generation beim Namen – und schlagen Lösungen vor“ (Seite 146). Beispielhaft nennt Fuhrhop Buschkowskis Vorschlag, Eltern das Kindergeld zu kürzen, wenn ihre Kinder die Schule schwänzen, und Heisigs „Neuköllner Modell“ der Prozessbeschleunigung. Kritische LeserInnen sollten wissen: Buschkowski als damaliger Bürgermeister des Berliner Bezirks Neukölln formulierte in seinem 2012 veröffentlichten Buch „Neukölln ist überall“ eine Reihe rassistischer Aussagen. Der 2010 verstorbenen Jugendrichterin Heisig legte Rüdiger Lung vom Republikanischen AnwältInnenverein (RAV) damals nahe, sie solle sich „überlegen, ob sie ihre Tätigkeit als neutrale und unabhängige Richterin weiter ausüben kann“, angesichts ihrer „rechtspopulistischen, die Gesellschaft spaltenden, die sozialen und bildungspolitischen Benachteiligungen ausblendenden Äußerungen“ über migrantische Jugendliche (3) .
Als Referenz für flüchtlingssolidarische Vorschläge zur Schaffung von Wohnraum scheinen sowohl Buschkowski als auch Heisig denkbar ungeeignet. Ist es die politische Unbedarftheit des Autors oder Kalkül, vielleicht um es möglichst vielen Seiten recht zu machen? Von schlichter Ungenauigkeit zeugt ein Fehler wie dieser: „… dass in der DDR bis 1947 rund achtzig Prozent der Vertriebenen als Untermieter in Wohnungen unterkamen“ (Seite 105). Bekanntlich wurde die DDR erst 1949 gegründet. Dieser Fauxpas wäre für sich genommen nicht zu erwähnen, gäbe es nicht auch an anderen Stellen Irritationen, zum Beispiel bei der unreflektierten Verwendung von Begriffen wie „Rassen“ (Seite 61) und „besorgte Bürger“ (Seite 54).
Es scheint, als wolle der oekom Verlag mit diesem weitgehend unlektoriert wirkenden Buch auf ein aktuelles Thema aufspringen. Ich möchte dem Autor seinen guten Willen nicht absprechen, von dem ich mich auch im persönlichen Gespräch überzeugen konnte. Analog zur Begrüßung der Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter vor vierzig Jahren schlägt er sogar vor: „Geben wir nachträglich einen Präsentkorb für den einmillionsten Flüchtling 2015 und geben ein Geschenk an den 250.000 Syrer!“ (Seite 116). Das ist sicher gut gemeint, und einigen seiner Vorschläge zur Wohnraumfrage ließe sich durchaus etwas abgewinnen, wäre da nicht dieser Tonfall von Selbstgewissheit und kolonialer Überheblichkeit, mit der Konstruktion eines „wir“, dem sich kritische LeserInnen hoffentlich zu entziehen wissen.
Daniel Fuhrhop: Willkommensstadt – Wo Flüchtlinge wohnen und Städte lebendig werden, oekom verlag München 2016.
(1) Buchbesprechung: www.wemgehoertdiewelt.de/2015/10/03/verbietet-das-bauen
(2) Wohnungen statt Lager: http://www.bmgev.de/mieterecho/archiv/2016/me-single/article/wohnungen-statt-lager.html
(3) Über die Jugendrichterin Heisig, den Rassismus und die Integration: http://www.rav.de/publikationen/infobriefe/infobrief-103-2010/neues-aus-moabit/
Danke für die ausführliche Kritik, von der ich manches gern annehme. Doch drei Haupteinwände: Das „Wir“ lässt sich in diesem Fall nicht immer eindeutig benennen. Eher von Vorurteilen geprägt scheint mir die pauschale Ablehnung von Heinz Buschkowsky und Kirsten Heisig und ihren Büchern „Neukölln ist überall“ und „Ende der Geduld“, die zu lesen auch dann lohnt, wenn man ihre Meinungen selten teilt. Und schließlich sollten „wir“ nicht vor Zumutungen zurückschrecken, die es doch bei früherem Flüchtlingszuzug wie in der Nachkriegszeit erheblich stärk gegeben hat. Ausführlich steht meine Replik hier:
http://www.verbietet-das-bauen.de/wir-willkommensstadt/