Griechenland: Was Euro- und Schengen-Rausschmiss gemeinsam haben

Am 02.02.15 17:37 schrieb sabine:

Hej, könntest Du mir mal kurz Deine beiden Gedanken von vorhin zu dem Steuerzahlerargument und zu dem Migrationsargument in Sachen Griechenland und Mainstream-Debatte aufschreiben? Ich habs mir leider nicht mitgeschrieben und nicht gemerkt, eilt nicht.

also gut. wie gings nochmal los? in der runde kam mehrfach sowas wie: „jetzt kommt immer dieses steuerzahlerargument und die linken schaffen es nicht, darauf gut zu antworten, dabei wärs ja so einfach, steht doch in unseren heftchen1.“
du hast das etwas genauer gemacht: „die linken erklären nicht, dass das ja gar nicht stimmt, mit dem zahlen, denn über die zinsdifferenz (deutschland leiht billiger geld selbst als es an griechenland weiterverleiht) verdient *der steuerzahler* hier ja sogar noch…“

da setzte ich an: das stimmt, solange die griechen wirkliche jeden geschuldeten euro zu den vereinbarten bedingungen zurückzahlen. schon bei umschuldungen wie in der vergangenheit2 nutzen die privaten institutionellen anleger die gelegenheit, um verluste zu vermeiden und risiken loszuwerden und möglichst viel von beiden den öffentlich-rechtlichen anlegern überzuhelfen. bei einem schuldenschnitt zu den bedingungen der griechischen linken – und dieser fall ist eben in den heftchen3 (noch) nicht behandelt – würden teile der schulden nicht umgeschuldet, sondern einfach für null und nichtig erklärt, wenn ich syriza richtig verstehe (und nur ein solches vorgehen verdient den namen schuldenschnitt – alles andere ist umschuldung und sollte auch so genannt werden). wenn aber jetzt ein teil des geldes gar nicht mehr zurückgezahlt wird, dann hilft selbst die unverschämteste zinsdifferenz nicht mehr, um da aus deutscher sicht noch mit gewinnen rauszugehen. das will ich mit einem rechenbeispiel verdeutlichen:

d leiht sich selbst am kapitalmarkt 100 euro für 1 prozent zinsen und verleiht diese für 20 prozent (unverschämt!!) weiter an g. g ergreift die gelegenheit der demokratischen legitimation beim schopf und sagt: so nicht! ich zahle nur die hälfte zurück, weil mehr kann ich mir und den meinen nicht zumuten. das wären dann 50 euro plus die vereinbarten zinsen, 20 prozent von 50 sind 10, macht 60 euro. d bekommt also 60 euro zurück, muss selber aber 101 euro an den gläubiger vom kapitalmarkt zahlen und macht so trotz unverschämter zinsforderungen an g 41 euro miese. d tut so als sei das ein skandal. im grund ist das d aber egal, denn d kann das ja den seinen vom taschengeld abziehen. auf keinen fall muss d auf die anschaffung z.b. seines neuesten lieblingsspielzeugs, einer kampfdrohne, verzichten. die taschengeldempfänger sind aber selber schuld daran, wenn das so läuft. denn sie haben d ja selbst gewählt und lassen ihn machen. hätten sie einen anderen d gewählt oder würden spätestens jetzt auch sagen: so nicht!, dann würde d vielleicht nicht das taschengeld kürzen, sondern dem fiesen drohnenproduzenten eine gewinnsteuer auferlegen und wenn der dann mit seiner produktion das land verlässt, dessen familie eine erbschaftssteuer aufbrummen und wenn die so mobil sind, dass sie auch noch auswandern, dann würden die taschengeldempfängerInnen (das kann ich annehmen, denn sie haben ja auch schon bei der wahl politisches bewußtssein bewiesen) erstmal eine feier veranstalten und dann sicherlich mit neuen intelligenten vorschlägen zur besteuerung von schweinen, zum beispiel industriell gezüchteten, kommen und d aus der patsche helfen.

du merkst, wohin ich mit dem rechenbeispiel drifte, nämlich erstens mitnichten in revolutionäre wahnvorstellungen, sondern allenfalls in redikalreformistische gefilde, und zweitens zum zweiten teil des arguments, das ich gestern sogar habe unter den tisch fallen lassen: bei dem gejammer um die übernahme der griechischen schulden durch den deutschen steuerzahler wird ja selten darüber geredet, wer hier welche steuern zahlt, dass wir derzeit ein extrem klassenungerechtes steuersystem haben und dass auch das nicht so sein bzw. bleiben muss.
d könnte natürlich – statt das taschengeld zu kürzen – auch einfach 41 euro drucken (lassen von der ezb – d soll ja dort einigen einfluss haben…) und den kapitalmarktgläubiger damit bezahlen, das fänd ich am besten, denn ich muss (wegen meiner bitcoins4) keine angst vor einer entwertung des euro durch das anwerfen der notenpresse haben. und auch ohne bitcoin hätte ich wenig angst davor, dass mein taschengeld wirklich deutlich an wert verliert, denn im moment haben wir es ja trotz der großen gelddruckaktion vor kurzem5 immer noch eher mit deflationären tendenzen zu tun. und außerdem halte ich geldvermittelte ökonomie sowieso nicht für der weißheit letzter schluss, aber gut. nicht schon wieder abdriften.

du hattest noch nach dem migrationsargument gefragt. das funktioniert so:

die linken wollen den migranten das leben leichter machen, mehr bewegungs- und handlungsfreiheit verschaffen, es ist schwer genug6. die rechten wollen sie – ausdrücklich: ohne gewalt – loswerden.7 die faschisten (im wartestand – noch – nicht an der regierung) wollen sie umbringen. also lieber, wenns nicht anders geht, zusammen mit den rechten ein bündnis als alleine scheitern und dann gewinnen am ende die faschisten und wo das hinführt, sollten die deutschen (und vor allem die superkorrekten oberlinken unter diesen) am besten wissen, denn die hatten auch einst mal die faschisten ganz sauber per wahl an die macht gebracht, nachdem sie das vertrauen in bürgerliche und linke verloren hatten und vielleicht (einige) sich ernsthaft nichts anderes dabei dachten als „ach, probieren wirs mal mit den faschisten, ham ja eigentlich eine ganz lustige flagge, und schlimmer kanns ja auch kaum werden“. insofern sehe ich im griechischen regierungsbündnis eine einbindung mit neutralisierungsmöglichkeiten gegen neofaschistische tendenzen und nicht das gegenteil, wie von scheinheiligen bürgerlichen und geschichtsvergessenen superlinken derzeit so oft angeprangert. im grunde kann die koalition in griechenland das leisten, was die linke als partei angesichts der strukturell rechtslastigen teile ihrer eigenen wählerInnen-basis in deutschland schon lange leistet, was sich aber niemand traut zu sagen, nämlich mitzuverhindern, dass rechtspopulisten in d auf einen grünen zweig kommen (warum ist es eigentlich tabu, sich damit als linker zu brüsten? weil es die strukturell rechten wähler der linkspartei dann kapieren und anders wählen? hm. so wirkfähig sind wir in der regel ja nicht mit unseren vermittlungsangeboten. wie auch immer. mir ist es auf jeden fall lieber, wenn die leute aus den falschen gründen das richtige tun als umgekehrt! und es sollte den ganzen konservativen doch gefallen, dass die linke mitverhindert bzw. für eine lange zeit mitverhindert hat, dass sich eine populistische partei „rechts der cdu/csu“ bilden konnte. erst ganz jüngst die afd könnte das ende dieser funktion der linkspartei markieren).

aber zurück zur migration: der kleinste gemeinsame nenner zwischen ’situation der migrantInnen konkret verbessern‘ und ‚migrantInnen loswerden‘ besteht darin, die migrantInnen mit griechischen, sprich europaweit gültigen papieren8 auszustatten – zumindest bis d und co. griechenland aus schengen rausschmeißen (hier besteht tatsächlich eine analogie zur drohung mit dem euro-rausschmiss). aber bange machen gilt nicht, und weitersehen tun wir, wenn es soweit ist. prozessuales vorgehen ist das einzig pragmatische, einen masterplan kann es für eine historische situation wie diese nicht geben. die ausgabe dieser papiere sollte direkt bei der einreise von außerhalb europas nach griechenland erfolgen, das muss syriza den rechten abtrotzen: dass griechenland durchreisestation bleiben kann. die meisten migrantInnen wollen angesichts der derzeitigen situation ja sowieso nicht in griechenland bleiben. wären sie ja schön blöd, wenn sie zwar ohne probleme weiterreisen könnten, aber ausgerechnet in einem land mit den sozialen härten wie gerade in griechenland ihre migration beenden. damit wären zaun, graben und minenstreifen (die liegen da noch von früher, passen aber ganz gut zur derzeitigen eu-außengrenzenpolitik) an der griechisch-türkischen eu-außengrenze überflüssig und niemand müsste mehr im mittelmeer ersaufen (mehr als 3.420 menschen alleine 2014, ich will das jetzt nicht gegen die oft und zu recht bejammerten mauertoten rechnen. hätte es die mauer nicht gegeben, dann könnte ich jetzt vielleicht in einen liberalen sozialismus rübermachen und dort mit migrantInnen aus aller welt an projekten um der sache willen zusammenarbeiten, denn die, denen es nur ums westgeld und um kapitalistisch organisierten urlaub – mehr heißt „reisefreiheit“ im westen ja leider auch nicht – geht, wären ja schon lange ausgewandert… verdammt! immer dieses abgeschweife), in flugzeug-, lkw- oder schiffsfrachträumen wahlweise ersticken oder erfrieren wie bisher.9

für deutschland und andere „endziele“ der migration hieße dies: willkommenskultur10 ausbauen und mit willkommensökonomie materiell unterfüttern11, damit die all ihre talente und ihre motivation nicht nur mitbringen, sondern diese hier auch einbringen können. existenzminimum (das gebietet sogar das bundesverfassunggericht!), arbeitserlaubnis und anschubfinanzierung als migrationspolitischer keynesianismus. wer soll das bloß bezahlen? da schlage ich den bogen zum drohnenproduzenten: rechte regierungen kaufen eben drohnen (rüstungskeynesianismus), linke integrieren stattdessen die talente und motivationen von migrantInnen in die volkswirtschaft (migrationskeynesianismus). der drohnenfabrikant ist eh bald ausgewandert (s.o.). und irgendwer muss ja dann, wenn keine schweine zum besteuern mehr da sind, zum steuernzahlen rangezogen werden (die migrantInnen, die sich mittlerweile auf der basis der willkommenskultur hocharbeiten konnten12 – natürlich nicht nur die!).

geht auf, oder?

 

Und zum Weiterlesen:
http://www.who-owns-the-world.org/tag/migration/
http://www.who-owns-the-world.org/tag/griechenland/

  1. http://www.rosalux.de/publication/38265/schummel-griechen-machen-unseren-euro-kaputt.html
    http://www.rosalux.de/publication/37900/ist-die-ganze-welt-bald-pleite.html []
  2. http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/griechenland-ein-schuldenschnitt-wuerde-die-steuerzahler-treffen-a-869400.html []
  3. http://www.rosalux.de/publication/38265/schummel-griechen-machen-unseren-euro-kaputt.html
    http://www.rosalux.de/publication/37900/ist-die-ganze-welt-bald-pleite.html []
  4. http://netzfueralle.blog.rosalux.de/tag/bitcoin/ []
  5. http://www.tagesschau.de/wirtschaft/ezb-anleihekauf-103.html []
  6. http://www.proasyl.de/de/themen/eu-politik/situation-in-griechenland/ []
  7. http://www.rosalux.de/publication/41128/ []
  8. http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/FAQ/VisumFuerD/17-Schengenstaaten.html?nn=350374 []
  9. http://www.proasyl.de/de/news/detail/news/flucht_ueber_das_mittelmeer_ueber_3420_tote_in_2014/
    http://www.sueddeutsche.de/politik/europaeische-fluechtlingspolitik-gestorben-an-der-hoffnung-1.1128073 []
  10. http://www.proasyl.de/de/news/detail/news/willkommenskultur_selber_machen []
  11. vgl. die „Vier Vorschläge für eine humane Migrationspolitik“ in http://www.rosalux.de/publication/40329/fluechtlinge-willkommen-refugees-welcome.html []
  12. https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/dokumente/%C2%BBder-sozialstaat-profitiert-von-zuwanderung%C2%AB
    http://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2014/november/sozialstaat-profitiert-von-zuwanderung/ []

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