Lehrstunde: Berlins PPP-Wasserverträge verstoßen gegen die Verfassung

Der Wassertisch
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Ulrike von Wiesenau berichtet über die attac-mailingliste über die höchsten Wasserpreise in Deutschland:

Mit einer grandiosen Rede und einer Fragerunde für die Berliner Abgeordneten hat Wassertisch-Vertragsexpertin Gerlinde Schermer am 17. Februar in der ersten Arbeitssitzung des Sonderausschusses „Wasserverträge“ im Berliner Abgeordnetenhaus das Maß für die Vertragsaufklärung durch das Parlament vorgegeben und es ist hoch angelegt. Die Anhörung geriet zu einer beeindruckenden Lehrstunde. Gerlinde Schermer, linke Sozialdemokratin und von 1991-1999 Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, war von Beginn an eine vehemente Kritikerin der Privatisierung der Berliner Wasserbetriebe und stimmte als eine der wenigen Abgeordneten gegen die Privatisierung des Berliner Wassers.

Immer hat sie auch grundsätzlich die Frage thematisiert, ob eine Basis-Infrastruktur der Daseinsvorsorge wie die Wasserversorgung überhaupt in private Hand darf und wie man dem Griff der Konzerne nach solchen Monopolen, die weltweit unter dem ebenso wohlklingenden wie irreführenden Namen einer „Öffentlich-Privaten Partnerschaft“ („Public Private Partnership“ -PPP) Raum greifen, Einhalt gebieten kann. Die Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe im Jahre 1999, die größte innerhalb der EU, stellt den Musterfall eines PPP-Vertrages dar, bei der privaten Konzernen im Rahmen von Geheimverträgen ohne unternehmerisches Risiko hohe Gewinngarantien und Entscheidungsbefugnisse eingeräumt werden.

„Ich komme hier nicht als Bittstellerin, sondern als Vertreterin jenes Teils der Bevölkerung, der klargestellt hat, was das Volk in dieser Frage der Daseinsvorsorge von ihren Vertretern erwartet“, lautete die Eröffnung von Gerlinde Schermer. Von den Abgeordneten erwartet sie ein umfassende schriftliche Klarstellung; die Klarstellung, dass Gesetzesteile, die vom Verfassungsgericht für nichtig erklärt wurden, dennoch unter Missachtung und Umgehung des Verfassungsgerichtsurteils verwirklicht wurden;  dass der Privatisierungsvertrag tief in die demokratischen Rechte des Gesetzgebers eingreift und insbesondere das Haushaltsrecht aushebelt; dass die Verträge das Demokratiegebot des Artikel 20 des Grundgesetzes verletzen; dass mit der Novellierung des Betriebegesetzes die verfassungswidrigen Regelungen der Teilprivatisierungsverträge und Gesetze übernommen wurden und daher die Verfassungsmäßigkeit des Betriebegesetzes durch ein Normenkontroll-verfahren zu überprüfen ist;  dass die Teilprivatisierungsverträge zu den hohen Wasserpreisen geführt haben und noch immer führen. Sie stellte noch einmal dar, dass die Rendite der privaten Investoren RWE und Veolia, die 1999  49,9 % der BWB erwarben, ursächlich für die hohen Trinkwasser- und Abwasserpreise in Berlin sind und bereits jetzt die 1,68 Milliarden Euro ausgezahlt worden sind, die die Privaten 1999 eingesetzt haben, dass bei einer Vertragslaufzeit bis zum 31.Dezember 2028 weitere 1,99 Milliarden Euro hinzukämen, was dank der Gewinngarantie eine Rendite von 13 Prozent ohne jedes unternehmerische Risiko ergäbe.

Sie forderte die Abgeordneten auf, das Schweigekartell zu brechen,  das Zustandekommen der skandalösen Verträge unter Einsatz allen verfügbaren juristischen Sachverstandes offenzulegen und die Verträge rückabzuwickeln. Am Schluss stand ein Aufruf an die Volksvertreter „Seien Sie mutig, die Bürger stehen hinter ihnen!“.

Das gesamte Auditorium, unbeeindruckt von Verweisen auf die „Hausordnung“ durch den Vorsitzenden, applaudierte anhaltend angesichts einer Rede, die das Arbeitsprogramm des Ausschusses für die kommenden zwölf Monate bemaß.

Die Inhalte hatten eingeschlagen, von einem „Scherbengericht“ war die Rede, der Berliner Wassertisch wurde in der  Befragung Schermers um „Unterlagen“ und „Zahlen“ gebeten. Klaerwerk-berlin.net, das Forum zur Vertragsaufklärung des Berliner Wassertischs wird weiterhelfen!

Gerlinde Schermer erläuterte den Abgeordneten, wie 1999 die „alten“, zum Teil bereits abgewählten Abgeordneten durch eine „weich formulierte“ Absichtserklärung des Senats über die Konsequenzen der Teilprivatisierung getäuscht wurden, dass sie bereits 2003 dargestellt habe, dass die Rückabwicklung des Konstrukts billiger als dessen Weiterführung sein würde, wie der „Verordnungszinssatz“ berechnet und vom Senat für die Abgeordneten begründet wurde, womit die „Beutegemeinschaft“ von Senat und Privaten Fakt wurde, wie die „Effizienzsteigerungsklausel“ gewinnsteigernd wirkt, wie das Management der BWB Erhaltungsaufwendungen als „Investition“ abrechnet und damit das betriebsnotwendige Kapital in die Höhe treibt, weshalb sich Senat und die Privaten seit 2006 um „Über-“ bzw. „Unterdeckung“ der „Gewinnzusage“ streiten. Es gehe darum, offen zu bekennen, dass
seinerzeit die Wahrheit weggelassen, wenn nicht gar verschwiegen wurde, und sich so von eigener Schuld frei zu machen. So weit wollte Klaus Lederer von der Linken nicht gehen. Er versuchte es mit einem Ausweichmanöver: „Schuld ist nicht die zentrale Frage, sondern: Mit welchen Gründen kommen wir heute aus den Verträgen raus?“ Auf national-ökonomischem und betriebswirtschaftlichem Glatteis rutschte er einfach aus: „Ich finde Gewinne ‚Mist‘, aber das ist im Kapitalismus so.“ Darauf konterte Gerlinde Schermer: „Wer etwas verkauft, kann nicht gleichzeitig eine Rendite zusagen!“ und redete anderen Abgeordneten mit nicht-ökonomischem Hintergrund zu: „Die Berechnungen sind ganz einfach; holen Sie sich die Zahlen beim Senat und rechnen Sie selbst.“

Die zweite Vertrauensperson des Berliner Wassertischs, Michael Bender von der Grünen Liga, erläuterte, dass die exorbitanten Gewinne der Privaten unrechtmäßig sind und eine Preissenkung erfordern. „Wasserpreise müssen die Umwelt und Ressourcen schützen, nicht aber die Gewinnerwartungen der Privaten“ und forderte ebenfalls eine juristische Prüfung der Wasserverträge.

Gerlinde Schermers lesenswerter Vortrag:
„Was die Bürger Berlins erwarten“

Weitere Informationen unter
http://berliner-wassertisch.net/
und
http://klaerwerk-berlin.net/: das Forum zur Vertragsaufklärung des Berliner Wassertisch

Ulrike von Wiesenau ist Sprecherin des „Berliner Wassertisch“, dem lokalen Netzwerk von VertreterInnen unterschiedlicher Gruppen, Initiativen und interessierter BürgerInnen, die sich unter dem gemeinsamen Thema „Wasser gehört uns allen – Wasser ist ein Menschenrecht“ in Berlin zusammengefunden haben.

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